29.04.2015 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Taylor Wessing Deutschland.
Gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ist eine ohne ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung unwirksam. Dies ist zum einen der Fall, wenn der Arbeitgeber vor einer abschließenden Stellungnahme des Betriebsrats oder des Ablaufs der Wochen- bzw. Dreitagesfrist eine Kündigung ausspricht. Gleiches gilt zum anderen, wenn die dem Betriebsrat unterbreiteten Informationen unvollständig oder fehlerhaft sind und es dem Betriebsrat dadurch verwehrt war, die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe zu überprüfen. In diesen Fällen muss der Arbeitgeber die Anhörung – wie auch den Ausspruch einer gegebenenfalls bereits erfolgten Kündigung – wiederholen, so dass der Beendigungstermin nach hinten rückt. Im Rahmen einer außerordentlichen Kündigung kann dies sogar dazu führen, dass diese angesichts der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB gar nicht mehr ausgesprochen werden kann, da die Frist abgelaufen ist. Gerade hier, wo sich aufgrund des großen Zeitdrucks leicht Ungenauigkeiten einschleichen können, bietet die vorliegende Entscheidung eine Argumentationshilfe gegen eine mögliche Unwirksamkeit einer späteren Kündigung.
Die Klägerin war seit Mai 2004 für die Beklagte im Rahmen eines Anstellungsverhältnisses als Leiterin eines „T-Shops“ tätig. Zuvor war sie seit Oktober 1989 im Rahmen eines Beamtenverhältnisses für die D tätig, von der sie für ihre jetzige Tätigkeit beurlaubt wurde.
Mit Schreiben vom 03. September 2012 hörte die Beklagte den Betriebsrat hinsichtlich einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Klägerin an. Sie stütze die Kündigung sowohl auf eine begangene Pflichtverletzung der Klägerin als auch einen entsprechenden Verdacht. In diesem Anhörungsschreiben gab sie zum einen eine „Betriebszugehörigkeit gesamt“ mit dem Datum 23. Oktober 1989 an, zum anderen eine „Betriebszugehörigkeit TSG“ mit dem Datum 01. Mai 2004. Im Anschluss an die Schilderung des Kündigungssachverhalts wies sie darüber hinaus darauf hin, dass die ordentliche Kündigungsfrist gemäß der einschlägigen Regelung des anwendbaren Manteltarifvertrags sieben Monate zum Monatsende betrage.
Mit einem weiteren Schreiben an den Betriebsrat vom 04. September 2012 wies die Beklagte sodann ergänzend darauf hin, dass die Klägerin Beamtin auf Lebenszeit sei und zur Begründung des Arbeitsverhältnisses im Beamtenverhältnis nur beurlaubt worden sei. Die Zeit als Beamtin sei nach den Regelungen des Manteltarifvertrages bei der Ermittlung der Kündigungsfrist nicht zu berücksichtigen, maßgeblich sei allein die Betriebszugehörigkeit zur Beklagten seit Mai 2004. Daher betrage die Kündigungsfrist für die ordentliche Kündigung lediglich fünf Monate zum Monatsende.
Mit Schreiben vom 07. September 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich, sodann mit Schreiben vom 11. September 2012 hilfsweise ordentlich.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass die streitgegenständliche außerordentliche Kündigung unwirksam sei, weil der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden sei. Dieser habe erst durch das Schreiben vom 04. September 2012 von ihrer Stellung als Beamtin erfahren. Darüber hinaus sei im Rahmen der Anhörung vom 03. September 2012 zunächst eine falsche Kündigungsfrist angegeben worden.
Das Landesarbeitsgericht hatte der Klage hinsichtlich der außerordentlichen Kündigung per Teilurteil stattgegeben. Das BAG folgte dem nicht, sondern hat das Verfahren an das Landesarbeitsgericht zwecks Feststellung weiteren Sachverhalts zurückverwiesen.
In diesem Rahmen hat das BAG klargestellt, dass die Kündigung nicht gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam sei. Ausgangspunkt der Argumentation des BAG ist zunächst der Grundsatz der „subjektiven Determinierung“. Demnach müsse der Arbeitgeber dem Betriebsrat nur die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich – subjektiv – bestimmt haben. Dem komme der Arbeitgeber dann nicht nach, wenn er dem Betriebsrat einen schon aus seiner eigenen Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt darstelle. Dazu gehörten im Rahmen einer verhaltensbedingten Kündigung insbesondere Tatsachen, die den Arbeitnehmer entlasten und deshalb gegen eine Kündigung sprechen könnten. Im Hinblick auf persönliche Umstände des Arbeitnehmers sei dies insbesondere dann der Fall, wenn sich diese bei objektiver Betrachtung entscheidend zu seinen Gunsten auswirkten und deshalb für die Stellungnahme des Betriebsrats bedeutsam sein könnten. Entbehrlich sei die Darstellung dagegen dann, wenn es dem Arbeitgeber auf die genauen Daten ersichtlich nicht ankomme und der Betriebsrat jedenfalls die ungefähren Daten ohnehin kenne.
Hinsichtlich der Betriebszugehörigkeit der Klägerin stellt das BAG insoweit fest, dass diese und die daraus resultierende – um zwei Monate zu lange – Berechnung der Kündigungsfrist im Rahmen der ersten Anhörung unerheblich seien. Die Beklagte habe in der Anhörung vom 03. September 2012 zu verstehen gegeben, dass sie eine außerordentliche Kündigung selbst angesichts einer vermeintlich maßgeblichen Betriebszugehörigkeit seit dem 23. Oktober 1989 für gerechtfertigt hielt. Eine tatsächlich kürzere Dauer der Betriebszugehörigkeit sei ein Umstand, der sich allenfalls zu Lasten der Klägerin, jedoch nicht zu ihren Gunsten auswirken würde. Das BAG weist zudem darauf hin, dass die Anhörung des Betriebsrats diesem nicht die selbständige Überprüfung der Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung, sondern lediglich eine Einflussnahme auf die Willensbildung des Arbeitgebers ermöglichen solle. Die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers im Rahmen der Anhörung reiche daher nicht so weit wie seine Darlegungslast im Kündigungsschutzprozess.
Hinsichtlich der Beurlaubung der Klägerin im Beamtenverhältnis führt das BAG aus, dass auch diese Tatsache angesichts der der Klägerin vorgeworfenen Pflichtverletzungen für die Frage des Kündigungsentschlusses nicht von Bedeutung war. Eine hieraus resultierende zusätzliche soziale Absicherung könne sich wiederum allenfalls zu Lasten der Klägerin auswirken.
Abschließend hält das BAG zudem fest, dass die am 04. September 2012 übermittelten ergänzenden Informationen keine neue Frist für die Stellungnahme zur beabsichtigten fristlosen Kündigung in Gang gesetzt haben. Unter Berücksichtigung des dort verwendeten Wortlauts („im Rahmen der Beteiligung ergänzen“) dürfte diese nicht als erneute Anhörung zu verstehen sein. Hierbei sei auch zu berücksichtigen, dass die zusätzlichen Angaben für die Anhörung zur fristlosen Kündigung nicht erforderlich waren.
Die vorliegende Entscheidung des BAG zeigt einmal mehr die Tendenz des 2. Senats auf, anders als viele Instanz-Gerichte hinsichtlich der Anforderungen an eine Betriebsratsanhörung relativ großzügig zu verfahren. Bereits im Rahmen der Entscheidung vom 21. November 2013 (2 AZR 797/11) hatte das BAG deutlich gemacht, dass eine unbewusste Verwechslung von Daten oder fehlerhafte Deutung von Äußerungen im Rahmen einer Anhörung nach § 102 Abs. 1 BetrVG unschädlich seien. Entscheidend sei vielmehr, dass dem Betriebsrat der Kern des Kündigungsvorwurfs zutreffend mitgeteilt wurde.
Ob dies allerdings den sorgfältigen Arbeitgeber wirklich davon entbindet, eine Anhörung vorsorglich nicht doch „auf der Grundlage der Darlegungslast im Prozess“ vorzubereiten, erscheint fraglich. Denn unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten werden nur wenige Arbeitgeber dazu bereit sein, eine solche Fragestellung angesichts eines möglichen Weiterbeschäftigungsanspruchs im Falle des Obsiegens in erster Instanz und eines Verzugslohnrisikos über mehrere Jahre durch die Instanzen zu treiben. Die vorliegende Entscheidung bietet jedoch für Vergleichsverhandlungen im Rahmen von Beendigungsstreitigkeiten eine gute Argumentationsgrundlage, sollte die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats im Streit stehen.
BAG, Urteil vom 23. Oktober 2014 (2 AZR 736/13)