22.07.2015 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Taylor Wessing Deutschland.
Bislang wurde vom BAG in ständiger Rechtsprechung angenommen, der Arbeitgeber könne für den Fall, dass eine von ihm ausgesprochene außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht auflöse, verbleibende Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers durch eine vorsorgliche Befreiung von der Arbeitspflicht erfüllen. Der vorsorglichen Urlaubsgewährung stehe nicht entgegen, dass bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Kündigungsschutzrechtsstreit offen sei, ob der Arbeitgeber Urlaubsentgelt oder Urlaubsabgeltung schulde.
Der Urlaubsanspruch sei kein sog. Einheitsanspruch. Er richte sich lediglich auf die Befreiung von der Arbeitspflicht. Auf dieser Grundlage war es als Arbeitgeber bislang möglich, eine Kumulation von Annahmeverzugs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen im Falle der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung und einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu einem späteren Termin zu vermeiden. An dieser Rechtsprechung hält das BAG ausweislich der hier besprochenen Entscheidung nicht mehr länger fest.
Das mit der Beklagten seit dem 1. Oktober 1987 bestehende Arbeitsverhältnis des Klägers wurde mit Schreiben vom 19. Mai 2011 außerordentlich mit sofortiger Wirkung, hilfsweise fristgemäß zum 31. Dezember 2011 gekündigt. In dem Kündigungsschreiben hieß es auszugsweise:
Hiermit kündigen wir das mit Ihnen am 01.10.1987 begonnene Arbeitsverhältnis außerordentlich mit sofortiger Wirkung wegen Vorliegens eines wichtigen Grundes im Sinne von § 626 BGB, hilfsweise fristgemäß zum 31.12.2011. […] Im Falle der Wirksamkeit der hilfsweise fristgemäßen Kündigung werden Sie mit sofortiger Wirkung unter Anrechnung sämtlicher Urlaubs- und Überstundenansprüche unwiderruflich von der Erbringung Ihrer Arbeitsleistung freigestellt.
Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Dortmund. Im Gütetermin am 17. Juni 2011 schlossen die Parteien einen Vergleich, der neben der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. Juni 2011 insbesondere folgende Regelungen vorsah:
Die Beklagte rechnet das Arbeitsverhältnis bis zum 30.06.2011 ordnungsgemäß ab. Die Parteien sind sich insofern auch dahingehend einig, dass der Kläger bis zum Beendigungstermin von der Erbringung seiner Arbeitsleistung unter Fortzahlung der Vergütung freigestellt bleibt. […] Mit der Erfüllung dieses Vergleichs sind alle wechselseitigen Ansprüche der Parteien aus und in Verbindung mit dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung, gleich aus welchem Rechtsgrund, gleich ob bekannt oder unbekannt, erledigt.
Am 4. November 2011 erhob der Kläger beim Arbeitsgericht Dortmund Klage auf Zahlung einer Urlaubsabgeltung in Höhe von EUR 2.357,09 brutto. Der Kläger behauptete insoweit, zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30. Juni 2011 habe ihm ein Urlaubsanspruch von 15,5 Tagen zugestanden. Der Kläger war der Auffassung, die Beklagte habe ihm weder durch die Erklärung im Kündigungsschreiben noch durch die Vereinbarung im Vergleich wirksam Erholungsurlaub gewährt. Die Beklagte vertrat demgegenüber die Ansicht, der Urlaub sei dem Kläger durch die Freistellung tatsächlich gewährt worden. Nachdem das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen hatte, wurde die Beklagte auf die Berufung des Klägers vom Landesarbeitsgericht Hamm zur Zahlung von 2.357,09 Euro brutto verurteilt. Die in Verbindung mit der fristlosen und der hilfsweise fristgemäßen Kündigung erteilte Freistellung unter Anrechnung sämtlicher Urlaubs- und Überstundenansprüche habe den vom Kläger geltend gemachten Anspruch nicht erfüllt. Nichts anderes ergebe sich aus dem von den Parteien geschlossenen gerichtlichen Vergleich, der eine Anrechnung der Freistellung auf den Erholungsurlaub des Klägers nicht vorgesehen habe. Die Beklagte legte hiergegen Revision zum BAG ein.
Die Revision der Beklagten war im Ergebnis erfolgreich. Der Ablehnung des Zahlungsanspruchs des Klägers lag aus Sicht des BAG allerdings nicht die Freistellungserklärung sondern der vor dem Arbeitsgericht geschlossene Vergleich zugrunde. Im ersten Teil der Urteilsbegründung folgt das BAG in Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung dem Landesarbeitsgericht. Der Urlaubsanspruch nach § 1 Bundesurlaubsgesetz sei nicht allein auf die Freistellung von der Arbeitsleistung gerichtet, sondern gewähre dem Arbeitnehmer einen Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Zur Erfüllung dieses Anspruchs genüge es daher nicht, dass der Arbeitnehmer in der Zeit des Urlaubs nicht arbeiten müsse.
Die Vorschrift verlange vielmehr, dass die Zeit der Freistellung bezahlt sein müsse. Hiermit folgt das BAG der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union. Dieser hat im Hinblick auf die hier maßgebliche Arbeitszeitrichtlinie bereits entschieden, aus dem Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub folge, dass dem Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Urlaubs ein Anspruch auf Vergütung sicher sein müsse. Dazu genüge es nicht, wenn ihm zu irgendeinem späteren Zeitpunkt nach der rechtskräftigen Entscheidung über die Kündigungsschutzklage ein Anspruch auf Urlaubsvergütung zuerkannt werde. Der Arbeitnehmer sei in unzumutbarer Weise in seiner Urlaubsgestaltung eingeschränkt, wenn er bei Urlaubsantritt nicht weiß, ob ihm Urlaubsentgelt gezahlt wird. Mit dem unionsrechtlichen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub werde bezweckt, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zu erholen und über einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zu verfügen.
Dieser Zweck könne typischerweise nur dann erreicht werden, wenn der Arbeitnehmer während des Zeitraums wisse, dass er in Bezug auf das Entgelt in eine Lage versetzt ist, die mit den Zeiten geleisteter Arbeit vergleichbar ist. Durch eine Freistellungserklärung in einem Kündigungsschreiben könne dem Arbeitnehmer folglich nur dann wirksam Urlaub gewährt werden, wenn die Urlaubsvergütung vor Antritt des Urlaubs bezahlt oder vorbehaltlos – unabhängig vom Fortbestand des Arbeitsverhältnisses im fraglichen Zeitpunkt – zugesagt werde.
Auf Grundlage der Entscheidung des BAG wird eine Vermeidung eines Urlaubsabgeltungsanspruchs neben Annahmeverzugslohnansprüchen im Falle einer unwirksamen außerordentlichen Kündigung künftig nur noch möglich sein, wenn dem Arbeitnehmer bei vorsorglicher Freistellung das Urlaubsentgelt vor Antritt des Urlaubs ausgezahlt oder die Zahlung des Urlaubsentgelts vorbehaltlos zugesagt wird. Eine Zahlung von Urlaubsentgelt nach Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung dürfte in der Regel bereits unter dem Gesichtspunkt bestehender Rückabwicklungsschwierigkeiten im Falle der Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung ausscheiden.
Welchen Anforderungen die vom BAG für möglich gehaltene vorbehaltlose Zusage der Urlaubsvergütung genügen muss, bleibt auf Grundlage der Entscheidung indes im Ungewissen. Soweit eine Urlaubsanrechnung ausgeschlossen ist, wird der Arbeitgeber im Falle der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung künftig folglich das Risiko der Kumulation von Annahmeverzugs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen zu tragen haben. Insoweit sollte bei Vergleichsverhandlungen zukünftig wieder darauf geachtet werden, eine Einigung über die vollständige Gewährung bestehender Urlaubsansprüche zu erzielen.
Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 10. Februar 2015 (Az.: 9 AZR 455/13)
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