27.08.2020 — Jasmin Dahler. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Unser Langzeitgedächtnis ist wie ein Archiv mit allen Erfahrungen, Ereignissen, Informationen, aber auch Emotionen, Regeln und allem anderen, was wir über unser sensorisches Gedächtnis und unser Kurzzeitgedächtnis erhalten haben. Salopp gesagt, könnte man behaupten, dass das Langzeitgedächtnis unsere Person ausmacht.
Wenn wir etwas aus unserem Langzeitgedächtnis abrufen möchten, brauchen wir einen Hinweisreiz. Dieser kann von außen kommen, wenn Ihr Kollege Sie zum Beispiel nach dem Namen eines Kunden fragt. Er kann aber auch intern generiert werden. Wichtig für den Abruf eines Inhalts ist ein bestimmtes Ziel. Je konkreter dieses ist, desto einfach gelingt der Abruf. Wir können Dinge oder Personen, aber dank des Langzeitgedächtnisses auch wiedererkennen. Das Wiedererkennen bezieht sich auf den Umstand, etwas als zuvor Gesehenes oder Gehörtes zu beurteilen. Sehen Sie ein Foto mit einer bekannten Person, erkennen Sie diese wieder. Beschreiben Sie stattdessen das Aussehen dieser Person (natürlich ohne Foto), rufen Sie die Information ab.
Lassen Sie uns unser Gedächtnis noch weiter unterteilen. Der kanadische Psychologe Endel Tulving unterschied als Erster episodisches und semantisches deklaratives Wissen.
Ihr episodisches Gedächtnis bewahrt alle individuellen und spezifischen Ereignisse auf, die Sie persönlich erlebt haben, zum Beispiel Ihren ersten Arbeitstag. Das semantische Gedächtnis enthält hingegen generische kategoriale Inhalte, wie die Bedeutung von Wörtern.
Sowohl das episodische als auch das semantische Gedächtnis profitieren beim Abruf vom Lernkontext. Dies zeigt sich insbesondere beim sogenannten Kontextschock. Sicher haben Sie bereits das Erlebnis gehabt, dass Sie eine Person sehen und nicht sicher sind, woher Sie diese kennen. Erst nach langem Überlegen fällt Ihnen dann zum Beispiel ein, dass die Frau im Bus Ihre Ärztin ist. Da Sie diese aber sonst nur in der Praxis sehen, hatte Ihr Gedächtnis Probleme, das Wissen über die Person zu enkodieren. Was uns wiederum zum sehr bekannten Prinzip der Enkodierspezifität bringt. Wissen lässt sich besser abrufen, wenn der Kontext mit dem Lernort übereinstimmt. Daher sollten Sie nicht unbedingt in der Badewanne oder im Bett lernen, sondern an einem Ort, der dem späteren Abrufort ähnlich ist. Auch Gerüche können diesen Effekt haben, wenn diese für einen Ort eher ungewöhnlich sind.
Meistens müssen wir nicht viel tun unser Gedächtnis funktioniert einfach und das oft auch einwandfrei. Wir treffen einen Arbeitskollegen und wissen seinen Namen – nun zumindest meistens. Manchmal kommt es vor, dass wir einfach nicht auf den Namen kommen.
Eine beliebte Methode von Studenten ist „Bulimie-Lernen“. Erst kurz vor der Prüfung werden Fakten gelernt und dann schnell am Prüfungstag abgerufen. Bereits wenige Tage manchmal bereits Stunden nach der Prüfung ist dieses abgerufene Wissen jedoch gänzlich verschwunden. Durch mangelnde Übungen fehlt meist das tiefgreifende Verständnis und die Informationen werden schnell vergessen. Hermann Ebbinghaus stellte bereits 1885 fest, dass die Behaltensleistung in den ersten fünf Tagen sehr schnell nachlässt, während danach deutlich weniger vergessen wird. Was Sie also noch am zehnten Tag wissen, werden Sie vermutlich nicht so schnell vergessen.
Doch wie sieht es jetzt mit den Namen des Arbeitskollegen aus, den Sie sonst immer wissen und plötzlich nicht? Haben Sie vielleicht jemand Neues kennen gelernt? Mussten sich einen neuen Namen merken? Das könnte zumindest ein Grund für das Vergessen des anderen Namens sein, denn unsere Gedächtnisinhalte konkurrieren miteinander. Oder besser gesagt: Gedächtnisinhalte stehen in Interferenz zueinander. Proaktive Interferenz bezeichnet Umstände, wo Informationen, die Sie in der Vergangenheit erworben haben, den Erwerb neuer Informationen erschweren. Retroaktive Interferenz bezeichnet wiederum das Phänomen, wenn der Erwerb neuer Informationen den Abruf bereits erworbenen Wissens erschwert.
Natürlich können auch biologische Ursachen zum Vergessen führen, diese werden hier jedoch nicht weiter behandelt.
Wenn Sie lernen, variieren Sie bereits beim Lernen den Kontext. Ändern Sie die Reihenfolge von Notizen, verändern Sie Fragestellungen und fangen Sie rechtzeitig an. Haben Sie Probleme, Informationen abzurufen, versuchen Sie Hinweisreize aufzurufen. Wann haben Sie die Information erhalten? Je mehr Sie rekonstruieren können, desto eher können Sie das Wissen, welches Sie benötigen, abrufen.
Und noch einige Worte zum sogenannten Metagedächtnis. J. T. Hart stellte fest, dass das Gefühl, etwas zu wissen, oft zutreffend ist. Also wenn Sie das Gefühl haben, etwas zu wissen, geben Sie nicht auf. Versuchen Sie, sich zu erinnern.
Lesen Sie im nächsten Teil, welchen Einfluss Motivation, Emotionen und Stress auf unser Lernen haben.
Bild: GDJ (Pixabay, Pixabay License)
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