Keine Diskriminierung, wenn das Arbeitsverhältnisses bei Erreichen des Rentenalters des Beschäftigten aufgrund einer tarifvertraglichen Regelung automatisch endet
Der Europäische Gerichtshof hat am 12. Oktober 2010 entschieden, dass eine tarifvertragliche Regelung, kraft derer ein Arbeitsverhältnis die automatische Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Erreichen des Rentenalters des Beschäftigten automatisch endet, nicht notwendig diskriminierend ist.
Darauf verweist der Düsseldorfer Fachanwalt für Arbeitsrecht Karsten Haase, Leiter des Fachausschusses „EU-Arbeitsrecht“ des VdAA Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V. mit Sitz in Stuttgart unter Hinweis auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 12.10.2010 - Rs. C 45/09 - Rosenbladt / Oellerking Gebäudereinigungsges. mbH).
In Deutschland ergibt sich aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, dass Klauseln, nach denen das Arbeitsverhältnis automatisch endet, wenn der Beschäftigte das Rentenalter erreicht, dem Verbot von Diskriminierungen wegen des Alters entzogen sein können. Nach deutschem Recht ist es den Sozialpartnern erlaubt, solche Klauseln in Tarifverträgen vorzusehen.
Was war geschehen?
In dem Fall war die Betroffene beruflich 39 Jahre lang mit Tätigkeiten der Gebäudereinigung befasst. Ihr Arbeitsverhältnis endet im Einklang mit dem geltenden Tarifvertrag für das Gebäudereinigungsgewerbe mit Ablauf des Kalendermonats, in dem sie Anspruch auf eine Altersrente hat, spätestens mit Ablauf des Kalendermonats, in dem sie das 65. Lebensjahr vollendet.
Als diese nun das Rentenalter von 65 Jahren erreichte, wurde ihr von ihrem Arbeitgeber mitgeteilt, dass ihr Arbeitsverhältnis damit ende. Hiergegen erhob sie Klage vor dem Arbeitsgericht Hamburg, das den Gerichtshof um eine Vorabentscheidung ersucht hat. Sie macht geltend, dass die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses eine Diskriminierung wegen des Alters darstelle.
Das vorlegende Gericht möchte im Wesentlichen wissen, ob die automatische Beendigung eines Arbeitsverhältnisses bei Erreichen des gesetzlichen Rentenalters gegen das in der Richtlinie 2000/78/EG niedergelegte Verbot von Diskriminierungen wegen des Alters verstößt.
Wie hat der EuGH entschieden?
In seinem Urteil stellt der Gerichtshof zunächst klar, dass eine Klausel, nach der das Arbeitsverhältnis automatisch endet, wenn der Beschäftigte das Rentenalter erreicht, eine unmittelbar auf dem Alter beruhende Ungleichbehandlung darstellt.
Der Gerichtshof hat weiter geprüft, ob diese Ungleichbehandlung als gerechtfertigt angesehen werden kann. Dazu stellt der Gerichtshof fest, dass mit einer solchen Klausel keine zwingende Regelung des Eintritts in den Ruhestand eingeführt wird, sondern dass sie eine Art und Weise der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen Erreichens des Rentenalters unabhängig von einer Kündigung zum Inhalt hat. Hier weist Haase darauf hin, dass nach deutschem Recht ein Arbeitsverhältnis nicht automatisch endet, wenn ein Arbeitnehmer die Voraussetzungen für den Bezug von Altersrente erfüllt. Es muss also ein entsprechender Beendigungstatbestand gesetzt werden, kraft dessen ein Arbeitsverhältnis in einem solchen Fall endet. Dies kann nach der Entscheidung des EuGH mithin auch eine entsprechende tarifvertragliche Reglung sein.
Hinsichtlich des mit der Regelung verfolgten Ziels führt der Gerichtshof aus, dass der in Frage stehende Mechanismus auf einem Ausgleich zwischen politischen, wirtschaftlichen, sozialen, demografischen und/oder haushaltsbezogenen Erwägungen beruht und von der Entscheidung abhängt, die Lebensarbeitszeit der Arbeitnehmer zu verlängern oder, im Gegenteil, deren früheren Eintritt in den Ruhestand vorzusehen.
Der Gerichtshof weist darauf hin, dass derartige Klauseln über die automatische Beendigung von Arbeitsverhältnissen seit Langem Teil des Arbeitsrechts zahlreicher Mitgliedstaaten und in den Beziehungen des Arbeitslebens weithin üblich sind. Da sie den Arbeitnehmern eine gewisse Stabilität der Beschäftigung bieten und langfristig einen vorhersehbaren Eintritt in den Ruhestand verheißen, während sie gleichzeitig den Arbeitgebern eine gewisse Flexibilität in ihrer Personalplanung bieten, sind diese Klauseln über die automatische Beendigung von Arbeitsverhältnissen Niederschlag eines Ausgleichs zwischen divergierenden, aber rechtmäßigen Interessen, der sich in einen komplexen Kontext von Beziehungen des Arbeitslebens einfügt und eng mit politischen Entscheidungen im Bereich Ruhestand und Beschäftigung verknüpft ist. Diese Ziele sind grundsätzlich als solche anzusehen, die eine von den Mitgliedstaaten vorgesehene Ungleichbehandlung wegen des Alters im Sinne der Richtlinie 2000/78 als „objektiv und angemessen“ - und somit als sachlich begründet - erscheinen lassen und „im Rahmen des nationalen Rechts“ rechtfertigen.
Dem Urteil des Gerichtshofs zufolge erscheint es daher nicht unvernünftig, so Haase, wenn die Stellen eines Mitgliedstaats oder die Sozialpartner in diesem Staat annehmen, dass solche Klauseln über die automatische Beendigung von Arbeitsverhältnissen angemessen und erforderlich sein können, um diese legitimen Ziele zu erreichen. Der Gerichtshof weist insoweit darauf hin, dass die hier anwendbare Klausel zum einen nicht nur auf ein bestimmtes Alter abstellt, sondern auch den Umstand berücksichtigt, dass den Betroffenen am Ende ihrer beruflichen Laufbahn ein finanzieller Ausgleich in Gestalt einer Altersrente zugutekommt, und zum anderen die Arbeitgeber nicht zur einseitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ermächtigt. Überdies eröffnet die tarifvertragliche Grundlage die Möglichkeit, von diesem Mechanismus mit nicht unerheblicher Flexibilität Gebrauch zu machen, so dass die Sozialpartner die Gesamtlage des Arbeitsmarkts und die speziellen Merkmale der jeweiligen Beschäftigungsverhältnisse berücksichtigen können. Die fragliche deutsche Regelung enthält zudem eine zusätzliche Beschränkung, da sie die Arbeitgeber dazu verpflichtet, die Zustimmung der Arbeitnehmer zu jeder Klausel einzuholen oder sich bestätigen zu lassen, nach der das Arbeitsverhältnis automatisch endet, wenn der Beschäftigte ein Alter erreicht hat, in dem er eine Rente beantragen kann, das aber unter der Regelaltersgrenze liegt. Schließlich betont der Gerichtshof, dass nach dem deutschen Recht einer Person, die nach Erreichen des Rentenalters eine Berufstätigkeit fortführen möchte, eine Beschäftigung nicht aus einem Grund verweigert werden darf, der mit ihrem Alter zusammenhängt.
Der Gerichtshof gelangt daher zu dem Ergebnis, dass die Richtlinie 2000/78 einer Klausel über die automatische Beendigung von Arbeitsverhältnissen bei Erreichen des Rentenalters des Beschäftigten, wie sie in Deutschland der Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Beschäftigten in der Gebäudereinigung vorsieht, nicht entgegensteht.
Hinweise für die Praxis
Haase weist darauf hin, dass der EuGH nunmehr eine weitere wichtige Entscheidung zu dem so praxisrelevanten Bereich der Diskriminierung wegen Alters getroffen hat. Zugleich hat er mit seiner Entscheidung vom 12. Oktober 2010 diese bislang heiß umstrittene und diskutierte Frage entschieden, die das ArbG Hamburg dem EuGH im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens vorgelegt hat.
Die Entscheidung des EuGH gibt mithin für die Fälle Rechtssicherheit, in denen tarifvertraglich geregelt wird, dass ein Arbeitsverhältnis automatisch bei Erreichen des Zeitpunkts endet, ab dem einem Arbeitnehmer ein Anspruch auf Bezug von Altersrente zusteht.
Zugleich weist Haase aber auch darauf hin, dass in der Praxis die entsprechenden Formulierungen in den verschiedenen - und zahlreichen - Tarifverträgen genau zu studieren sein werden. Dabei wird u. a. zu prüfen sein, ob tarifvertraglich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses an ein konkret ziffernmäßig genanntes Lebensalter geknüpft wird und ob dieses mit dem aktuell gesetzlich geregelten Lebensalter übereinstimmt, das zum Bezug von Altersrente berechtigt, derzeit 67. Denn nur allzu oft finden sich nämlich in Tarifverträgen noch Bezugnahmen auf mittlerweile „veraltete“ Renteneintrittsalter, was zu arbeitsrechtlichen Problemen führen kann. Haase erwartet daher auch, dass die zahlreichen Tarifvertragsparteien / Sozialpartner nunmehr ihre Tarifverträge durchforsten und entsprechende Beendigungsregelungen an die aktuelle Rechtsprechung des EuGH anpassen werden.
Mit Nachdruck weist Haase zudem darauf hin, dass das Urteil des EuGH vom 12. Oktober 2010 lediglich tarifvertragliche Regelungen betrifft. Es ist daher auf einzelvertraglich geregelte Beendigungstatbestände, die an den Bezug von Altersrente anknüpfen, nicht anzuwenden. Um so mehr ist für solche einzelvertraglichen Regelungen, die extrem verbreitet sind und mittlerweile Standard in einem jeden Formulararbeitsvertrag sind, Obacht geboten. Denn solche einzelvertraglichen Regelungen sind nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu prüfen. Insbesondere müssen sie dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB genügen, was in einer Fülle von Fällen fraglich sein dürfte. Auch ist Obacht geboten, wenn individualvertraglich auf Tarifverträge Bezug genommen wird. Je nach individualvertraglicher Formulierung kann ein Verstoß gegen das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Folge sein. Haase verweist hier auf die entsprechende einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung zur Inbezugnahme von Tarifverträgen.
Eine Überprüfung entsprechender tarifvertraglicher Regelungen anhand des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen scheidet nach § 310 Abs. 4 BGB. Gleiches gilt für entsprechend Regelungen in Betriebs- oder Dienstvereinbarungen, nach denen Arbeitsverhältnisse bei Erreichen des Rentenalters automatisch enden. Hier bietet sich mithin die Möglichkeit an, entsprechende Regelungen aus dem Bereich des Individualarbeitsrechts auszunehmen und in den des Kollektivarbeitsrechts zu verlagern.
Haase empfiehlt daher, das Urteil des EuGH vom 12. Oktober zu beachten und bei aufkommenden Fragen, insbesondere zu Fragen der Arbeitsvertragsgestaltung, unbedingt versierten Rechtsrat in Anspruch zu nehmen, wobei er u. a. auf den VdAA Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V. verweist.
Quelle: VdAA Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V.