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Keine Anrechnung eines Praktikums auf die Probezeit im Berufsausbildungsverhältnis

06.04.2016  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: Taylor Wessing Deutschland.

Der 6. Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) hat klargestellt, dass die Dauer eines vorausgegangenen Praktikums auf die Probezeit eines Berufsausbildungsverhältnisses nicht anzurechnen ist und dass mithin eine Probezeitkündigung trotz vorausgegangenem Praktikums wirksam ist.

Einleitung

Ausbildungsverhältnisse unterliegen den besonderen Vorschriften des Berufsbildungsgesetzes (BBiG), das in einigen wesentlichen Punkten zum Schutz des Auszubildenden von den allgemeinen arbeitsrechtlichen Vorschriften abweicht (vgl. § 10 Abs. 2 BBiG). So beginnen Ausbildungsverhältnisse regelmäßig mit einer Probezeit, die im Berufsausbildungsvertrag – im Gegensatz zum herkömmlichen Arbeitsverhältnis – zwingend zu vereinbaren ist. Die Probezeit muss mindestens einen Monat und darf höchstens vier Monate betragen (§ 20 S. 2 BBiG). Während dieser Probezeit kann das Berufsausbildungsverhältnis gem. § 22 Abs. 1 BBiG sowohl vom Auszubildenden als auch vom Ausbilder jederzeit gekündigt werden, ohne dass es hierfür eines Grundes oder der Einhaltung einer Kündigungsfrist bedarf. Nach Ablauf der Probezeit hingegen ist eine ordentliche Kündigung nur noch durch den Auszubildenden selbst möglich.

Der Ausbilder kann das Ausbildungsverhältnis nur noch aus wichtigem Grund kündigen, wobei der ohnehin strenge Maßstab, der bei der Kündigung aus wichtigem Grund in regulären Arbeitsverhältnissen gilt, aufgrund der besonderen Umstände des Ausbildungsverhältnisses und zum Schutz des in der Regel noch jugendlichen Auszubildenden noch einmal verschärft ist. Umso mehr ist natürlich dem Ausbilder daran gelegen, die Möglich­keit einer Probezeitkündigung nutzen zu können, falls sich bereits in dieser Zeit herausstellt, dass eine langfristige Ausbildung nicht erfolgversprechend erscheint. Schließlich ist es Sinn und Zweck der Probezeit, die Eignung des Auszubildenden prüfen zu können.

Wie aber ist die Frage zu beurteilen, wenn vor der vereinbarten Probezeit mit einem Auszubildenden bereits ein unmittelbar vorausgegangenes Praktikum mit ebenfalls einer Probezeit zur Überbrückung bis zum Ausbildungsbeginn im selben Betrieb vereinbart worden war? Widerspricht eine solche Konstellation einer erneuten Probezeit? Hiermit hatte sich das BAG im zu entscheidenden Fall zu beschäftigen.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Probezeitkündigung eines Berufsausbildungsverhältnisses und um einen Anspruch des Klägers auf Weiterbeschäftigung. Die Beklagte betreibt ein Einzelhandelsunternehmen mit zahlreichen Filialen im Bundesgebiet. Es ist ein Betriebsrat gebildet, welcher für die Filiale in H. zuständig ist. Der Kläger bewarb sich im Frühjahr 2013 bei der Beklagten um eine Ausbildung zum Kaufmann im Einzel­handel. Ihm wurde daraufhin die Aufnahme der Ausbildung zum 1.8.2013 zugesagt.

Als Überbrückung für die Zeit bis zum Ausbildungsbeginn bot ihm die Beklagte ein Praktikum an. Am 27.3.2013 schlossen die Parteien einen „Praktikantenvertrag“. Nach dessen § 1 soll der Kläger vom 11.3.2013 – 31.7.2013 in der Filiale in H. „zum Erwerb von Erfahrungen und Kenntnissen im Fachbereich Handel- Verkaufs­vorbereitung“ eingesetzt werden. Es war eine Probezeit von zwei Monaten vorgesehen. Während dieser Probezeit erfolgte keine Kündigung. Unter dem 22.6.2013 zeichneten die Parteien einen Berufsausbildungs­vertrag für die Ausbildung des Klägers zum Kaufmann im Einzelhandel in der Zeit vom 1.8.2013 bis zum 31.7.2016. Es wurde eine Probezeit von drei Monaten vereinbart. Der Kläger nahm die Ausbildung wie vorgesehen in der Filiale in H.auf.

Mit Formularschreiben vom 21.10.2013 informierte die Beklagte den Betriebsrat über die beabsichtigte Kündigung des Klägers während der Probezeit. Sie gab an, dass der Kläger seit dem 11.3.2013 bei ihr beschäftigt sei und zwar „als Praktikant, ab 1.8.2013 als KEH Azubi“. Als Grund für die beabsichtigte Kündigung wurde mitgeteilt: „Herr K hat unseren Erwartungen auf Grund fehlender Eigeninitiative nicht entsprochen. Er wird innerhalb der Probezeit, die am 31.10.2013 endet, gekündigt.“ Der Betriebsrat stimmte der Kündigung zu. Mit Schreiben vom 29.10.2013, welches dem Kläger am gleichen Tag zuging, kündigte die Beklagte das Ausbildungsverhältnis zum 29.10.2013.

Mit seiner am 15.11.2013 eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen diese Kündigung gewandt und seine Weiterbeschäftigung verlangt. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung vom 29.10.2013 sei unwirksam. Sie sei erst nach Ablauf der Probezeit erklärt worden. Das dem Ausbildungsverhältnis vorausgegangene Praktikum sei auf die Probezeit anzurechnen. Das Praktikum sei im Zusammenhang mit dem bereits zugesagten Ausbildungsbeginn am 1.8.2013 durchgeführt worden und habe der Vorbereitung der Ausbildung dienen sollen.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Auch die Revision des Klägers blieb erfolglos.

Die Entscheidung

Das BAG hat die Revision des Klägers als unbegründet zurückgewiesen. Das Berufsausbildungsverhältnis sei durch die Kündigung der Beklagten gemäß § 22 Abs. 1 BBiG ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist wirksam beendet worden, da die streitgegenständliche Kündigung während der vereinbarten Probezeit erklärt worden war.

Zeiten anderer Vertragsverhältnisse zwischen einem Auszubildenden und dem Ausbilder und somit auch die Zeit des Klägers als Praktikant bei der Beklagten finde keine Anrechnung auf die Probezeit im anschließenden Berufsausbildungsverhältnis. Nach § 20 Abs. 1 BBiG beginne das Berufsausbildungsverhältnis mit der Probe­zeit. Die Vorschrift knüpfe dabei allein an den rechtlichen Bestand des Ausbildungsverhältnisses an. Auch der Zweck der Probezeit spreche gegen die Anrechnung der Praktikantenzeit.

Die Probezeit solle beiden Vertragspartnern ausreichend Gelegenheit einräumen, die für das Ausbildungs­verhältnis im konkreten Ausbildungsberuf wesentlichen Umstände eingehend zu prüfen. Dies sei nur unter den Bedingungen des Berufsausbildungsverhältnisses mit seinem spezifischen Pflichtenkatalog nach §§ 13, 14 BBiG möglich. Andere Vertragsverhältnisse wie der hier zuvor geschlossene „Praktikantenvertrag“ wichen hiervon ab.

Während des Berufsausbildungsverhältnisses soll die berufliche Handlungsfähigkeit durch einen geordneten Ausbildungsgang vermittelt werden. Im Gegensatz dazu findet im Rahmen eines Praktikums keine systematische Berufsausbildung statt; es handelt sich vielmehr um eine vorübergehende Tätigkeit im Betrieb, um sich die zur Vorbereitung auf einen Beruf notwendigen praktischen Kenntnisse und Erfahrungen anzueignen. Mit dieser gesetzlichen Differenzierung von Berufsausbildungsverhältnis und Praktikum sei eine Anrechnung von Zeiten eines Praktikums auf die Probezeit in einem späteren Berufsausbildungsverhältnis ausgeschlossen.

Wegen dieser grundsätzlichen Unterschiede komme es weder auf die Umstände des Einzelfalls an, noch sei es von Bedeutung, ob Praktikum und Berufsausbildungsverhältnis in einem inneren Zusammenhang stehen. Gleiches gelte bezüglich der tatsächlichen Gestaltung des Praktikums und des Besuchs eines Berufsschul­unterrichts. Zudem spreche auch das Gebot der Rechtssicherheit für dieses Ergebnis, da die Abgrenzung eines „anrechnungsfähigen“ Praktikums von einem anderen Praktikum im Einzelfall nur schwer möglich wäre.

Wollten die Parteien bei der Begründung des Berufsausbildungsverhältnisses den Umstand berücksichtigen, dass sie sich bereits im Rahmen eines Praktikums kennengelernt haben, bliebe ihnen nur die Vereinbarung der Mindestprobezeit von einem Monat gemäß § 20 S. 2 BBiG. In diesem Zusammenhang betont das BAG noch einmal, dass eine vertragliche Vereinbarung der Anrechnung eines Praktikums, die zu einer weiter gehenden Reduzierung oder zum Entfall der Probezeit führt, gem. § 25 BBiG nichtig wäre. Es würde sich um eine Vereinbarung handeln, die zu Ungunsten des Auszubildenden von § 20 BBiG abweichen würde.

Die streitgegenständliche Kündigung sei auch nicht mangels ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats unwirksam. Dieser sei mit dem Schreiben vom 21.10.2013 hinreichend über die Gründe der beabsichtigten Kündigung unterrichtet worden.

Aus dem Grundsatz der subjektiven Determination folge auch im Falle der Kündigung eines Ausbildungs­verhältnisses in der Probezeit, dass der Arbeitgeber lediglich die Gründe dem Betriebsrat mitteilt, die nach seiner subjektiven Sicht die Kündigung rechtfertigen und die für seinen Kündigungsentschluss maßgeblich sind. Der dem Betriebsrat im Rahmen der Anhörung nach § 102 I BetrVG mitgeteilte Grund, dass der Kläger den Erwartungen der Beklagten auf Grund fehlender Eigeninitiative nicht entsprochen habe, sei ausreichend.

Schließlich verstoße die Kündigung auch nicht gegen Treu und Glauben, denn die Beklagte habe lediglich von ihrem gesetzlichen Recht Gebrauch gemacht.

Praxishinweis

Die Entscheidung des BAG ist im Ergebnis aber auch in der Begründung zu begrüßen. Das Gericht hat klargestellt, dass § 20 BBiG als zwingendes Recht nicht disponibel ist. Der eindeutige Wortlaut schreibt eine Probezeit vor und erlaubt nur hinsichtlich der Länge einen gewissen Gestaltungsspielraum zwischen einem und vier Monaten.

Das Urteil spiegelt letztendlich den Willen des Gesetzgebers wieder. Danach dient die zwingend vorgeschriebene Probezeit dazu, die Eignung des Auszubildenden festzustellen. Dies kann aber nur im Rahmen der tatsächlichen Ausbildung erfolgen. Die Anforderungen an den Auszubildenden sind demnach auch nicht in einem vorbereitenden Praktikum oder in einem wie auch immer gearteten anderen Rechtsverhältnis messbar. Nicht umsonst hat der Gesetzgeber das Ausbildungsverhältnis gesondert geregelt. Eine Differenzierung nach Art des Praktikums im Einzelfall würde zu erheblichen Rechtsunsicherheiten führen.

Als Praxishinweis gilt daher für Arbeitgeber, dass in ausnahmslos jedem Ausbildungsverhältnis eine Probezeit zu vereinbaren ist. Ist sich der Ausbilder sicher, dass der Auszubildende für die Ausbildung geeignet ist, so können beide die Probezeit auf die Mindestlaufzeit von einem Monat reduzieren. Von abweichenden Vereinbarungen ist aufgrund des erfreulich eindeutigen Urteils des BAG in jedem Falle abzuraten.

Bundesarbeitsgerichts (BAG), Urteil vom 19.11.2015 (6 AZR 844/14)


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