19.08.2019 — Rolf Becker. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Rechtsanwalt Rolf Becker, Partner bei Wienke und Becker – Köln, der die Beklagte vertrat, erläutert die Folgen der Entscheidung.
Die Beklagte Versenderin ist einen weiten Weg gegangen, um mehr Rechtsklarheit für die Gestaltung von gedruckter Werbung im Zusammenhang mit Verbraucherinformationen zu erhalten. Seit der Abmahnung der Wettbewerbszentrale vom 23.10.2014 führte der Weg in dem vereinbarten Musterverfahren durch die Instanzen (LG Wuppertal, OLG Düsseldorf) und machte nach dem Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) einen Umweg vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Der ist zuständig für die Auslegung von EU-Recht.
Es ging um die Frage, wann ein Printwerbemittel nur wenig Platz aufweist und welche der Verbraucherinformationen, die der Verbraucher vorvertraglich im Fernabsatz erhalten muss, dann im Werbemittel selbst vorgesehen sein müssen.
Denn das Europäische Recht sieht in der Verbraucherrechterichtlinie in Art. 8 vor, dass der Unternehmer bei Werbemitteln mit begrenzter Darstellungsmöglichkeit nur im beschränkten Umfang Verbraucherinformationen im Werbemittel selbst vorhalten muss. Weitere Informationen können dann an anderer Stelle, etwa im Internet, erfolgen.
So hatte die Beklagte in ihrem Werbeprospekt (sechs Seiten im Format von 19 x 23,7 cm mit Bestellpostkarte) nur auf das Bestehen des Widerrufsrechts im Fernabsatz hingewiesen. Die Details der Widerrufsbelehrung waren nur im Internet vorgesehen.
Die Umsetzung des EU Rechts in Deutschland sieht auch nur eine Information über „das Bestehen des Widerrufsrechts“ vor. Das Urteil des EuGH (Urteil vom 23. Januar 2019 (Rechtssache C-430/17) machte dann deutlich, dass diese deutsche Umsetzung in Art. 246a § 3 Nr. 3 EGBGB europarechtswidrig erfolgte. Vielmehr war dem Wortlaut der Verbraucherrechterichtlinie zu folgen.
Damit müssen selbst bei einem Werbemittel mit beschränktem Raum alle Angaben zum Widerrufsrecht (Bedingungen, die Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts) erfolgen und grundsätzlich auch das Musterwiderrufsformular mit abgedruckt werden.
Die ansonsten nur schwer verständlichen Vorgaben des EuGH, wann das der Fall sein soll, hat der BGH in seinem Urteil jetzt präzisiert.
Der BGH stellte fest, dass bei einer Printwerbung eine zeitliche Beschränkung der Darstellungsmöglichkeit nicht in Betracht kommt. Aber ein begrenzter Raum ist nach dem Urteil selbst dann denkbar, wenn er durch die Entscheidung des Unternehmers zur Größe des Werbemittels herbeigeführt wird.
„Die Beurteilung der Begrenzung von Raum und Zeit knüpft damit an die unternehmerische Entscheidung über Art und Umfang der Werbung an. So bestimmt der Unternehmer bei der Printwerbung, ob er mit einem Katalog, Prospekt, Flyer oder einer Anzeige werben und welchen konkreten Umfang er seinem Werbemittel geben möchte."
Wählt der Unternehmer also ein Format des Werbemittels, auf das nicht alle Angaben passen, kann er durch diese Wahl erzwingen, dass nicht alle Informationen aufgenommen werden müssen.
Der BGH stellt für die Frage, wann ein Printwerbemittel beschränkt ist, eine neue 20% Regel auf. Die rechtlich vorgesehenen Verbraucherinformationen müssen objektiv in die Werbebotschaft integriert werden können. Die Werbebotschaft selbst darf aber wegen der notwendigen Wahrung der unternehmerischen Freiheit nicht hinter die Rechtsinformationen zurücktreten.
Wann das der Fall sein soll, erläutert der I. Zivilsenat wie folgt:
Vielmehr wird regelmäßig davon auszugehen sein, dass die Werbebotschaft noch nicht zurücktritt, wenn für die verpflichtenden Verbraucherinformationen bei Verwendung einer für den durchschnittlichen Adressaten der Werbung angemessenen Schrifttype nicht mehr als ein Fünftel des für eine konkrete Printwerbung verfügbaren Raums benötigt wird.
Auf Layout und Grafik (Produktabbildungen, deren Größe und Anzahl etc.) kommt es nicht an. Diese sind bei der Beurteilung also nicht zu berücksichtigen. Offen bleibt, was im Einzelfall eine „angemessene Schrifttype“ ist und ob bei der Berechnung Flächen mitberücksichtigt werden dürfen, die für andere Zwecke zwingend belegt sind, wie etwa das Adressfeld der Postkarte.
Bei den Informationen sind alle in Art. 6 Abs. 1 der Verbraucherrechterichtlinie aufgeführten Informationen zu berücksichtigen. Dazu zählen nicht nur die Widerrufsbelehrung, Musterwiderrufsformular und Garantiebestimmungen, sondern Angaben zur Identität, Anschrift, Kommunikationsmittel, fast alle AGB und die wesentlichen Eigenschaften der Ware, also die Angebotsbeschreibung zumindest in Teilen, Preise, Versandberechnung usw.
Unklar ist, ob auch etwa Datenschutzhinweise mitgezählt werden müssen, wofür einiges spricht.
Überschreitet der Platzbedarf 20% der verfügbaren Fläche, dann entfällt zunächst die Pflicht, das Musterwiderrufsformular abzudrucken. Überschreitet der Rest der Pflichtinformationen (ohne Abdruck des Musterwiderrufsformulars) dann immer noch 20%, können bestimmte Informationen außerhalb des Werbemittels untergebracht werden. Die Widerrufsbelehrung ist aber grundsätzlich immer unterzubringen. Was bei Werbemitteln gelten soll, die zu klein für die Widerrufsbelehrung sind (z.B. bei einer Produktwerbung nur auf einer beigelegten Postkarte), wurde nicht entschieden.
Die Versenderin hatte einen sog. Kauf auf Probe vorgesehen. Danach kommt der Vertrag erst zustande, wenn der Kunde eine Ware „billigt“. Für die Billigung hatte der Kunde 2 Wochen Zeit. Rührte er sich nicht, stellte der Ablauf der Frist die Billigung dar. Die Beklagte hatte geltend gemacht, dass es ausreiche, die Informationen mit der Warenzusendung zu übermitteln, da durch den Kauf auf Probe noch kein Vertrag geschlossen worden sei und die Information daher noch „vorvertraglich“ erfolge
Der BGH sieht dies anders:
Löst die Absendung des Bestellscheins der Beklagten durch den Kunden ohne weiteres Handeln des Kunden ein Fernabsatzgeschäft aus, so müssen die Informationspflichten des Unternehmers vor Absendung des Bestellscheins erfüllt werden. Die Informationspflicht besteht gemäß Art.246a §4 Abs.1 EGBGB für jede Vertragserklärung des Verbrauchers, die zum Abschluss eines Fernabsatzgeschäftes führt.
Damit müssen auch bei einem Kauf auf Probe alle Angaben schon im Werbemittel erfolgen. Er bringt hier keine Erleichterungen.
Der BGH hat auch entschieden, dass ein Wechsel des Kommunikationsmittels (Medienbruch) dem Verbraucher wegen des angestrebten hohen Verbraucherschutzniveaus regelmäßig unzumutbar sei:
„Ein Wechsel des Fernkommunikationsmittels, um Kenntnis der Pflichtangaben zu erlangen, ist dem Verbraucher regelmäßig unzumutbar. Grundsätzlich kann nicht vorausgesetzt werden, dass der Verbraucher über ein anderes Fern-kommunikationsmittel verfügt und es beherrscht als dasjenige, dessen er sich zur Kenntnisnahme des Fernabsatzangebots des Unternehmers bereits bedient hat.“
Die Beklagte ziele mit der gedruckten Prospektwerbung auf Verbraucher, die sich nicht zwangsläufig mit der Beschaffung von Informationen im Internet auskennen.
Das Urteil des BGH lässt zwar noch Fragen offen. Dennoch ist es erfreulich operativ ausgefallen. Wichtig ist der Umstand, dass die Freiheiten der Unternehmer, etwa zur Wahl der Größe des Werbemittels, respektiert wurden. Zudem ist jetzt auch klar, dass Rechtsinformationen nicht so umfangreich ausfallen dürfen, dass dahinter die Werbung zurücktritt. Printwerbung ist auch im Internetzeitalter lange nicht tot, sondern bietet ein wichtiges Anstoß- und Vertrauenselement.
Wenn Rechtsunsicherheiten Gift für die Wirtschaft sind, dann ist zumindest die Wirtschaftswelt mit diesem Urteil etwas ungiftiger geworden.