12.09.2024 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Hans Böckler Stiftung.
Eine neue Befragung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung liefert Hinweise darauf, dass Arbeitgeber mehr als jede fünfte Neugründung von Betriebsräten behindern, obwohl das ein Straftatbestand ist. Sie schüchtern Kandidat*innen ein, drohen mit Kündigung oder verhindern die Bestellung eines Wahlvorstands. Besonders verbreitet ist Druck gegen Beschäftigte, die einen Betriebsrat gründen wollen, in mittelgroßen eigentümergeführten Unternehmen. In beinahe der Hälfte aller Fälle, in denen sich der Arbeitgeber der erstmaligen Wahl eines Betriebsrats entgegenstellt, findet diese am Ende nicht statt. Trotz einzelner Verbesserungen ist der gesetzliche Schutz von betrieblicher Mitbestimmung der Beschäftigten immer noch viel zu schwach, zudem fehlen wirksame Sanktionen, zeigt die Studie von PD Dr. Martin Behrens und Dr. Heiner Dribbusch.
Die Forscher haben im vergangenen Jahr Gewerkschafter*innen aus 131 regionalen Organisationen der IGBCE, der IG Metall und der NGG zu ihren Erfahrungen mit der Durchführung von Betriebsratswahlen befragt. Angesprochen wurden gezielt Expert*innen in regionalen Gliederungen, die einen guten Einblick über die betriebliche Situation in ihrer Gegend haben. 47 Prozent der Befragten kannten Fälle, in denen Arbeitgeber zwischen 2020 und 2022 versucht hatten, Betriebsratswahlen zu behindern. 44 Prozent der befragten NGG-Hauptamtlichen hatten Kenntnis von Störmanövern von Arbeitgebern. In der Metall- und Elektroindustrie sind es 54 Prozent, im Organisationsbereich der IGBCE 33 Prozent. Die Zahlen sind nicht repräsentativ für bundesweite Betriebsratswahlen, sie liefern aber die derzeit beste Annäherung an das Problem, die es in Deutschland gibt.
Insgesamt waren den Befragten, die von Behinderungen von Betriebsratswahlen berichteten, 138 Betriebe bekannt, in denen es im Untersuchungszeitraum dazu gekommen ist. Die Behinderungen ereigneten sich nach der WSI-Auswertung besonders häufig in Betrieben der mittleren Größenklasse mit 51 bis 200 Beschäftigten. 43 Prozent aller Fälle entfielen auf diese Größenklasse. Überproportional häufig kamen Aktivitäten gegen Betriebsratswahlen in inhabergeführten Unternehmen vor. „Offenkundig trifft die betriebliche Mitbestimmung gerade in jenen Bereichen auf verminderte Akzeptanz, wo Eigentümer*innen ihr Geschäft persönlich führen und nur eine geringe Bereitschaft zeigen, die Macht im Betrieb mit einer weiteren Instanz zu teilen. Unterstrichen wird dieser Zusammenhang durch den Befund, dass in den Fällen, in denen Inhaber*innen gegen eine Betriebsratswahl vorgehen, es überdurchschnittlich häufig nicht zur Bildung eines Betriebsrates kommt“, schreiben Behrens und Dribbusch.
Insgesamt ist in 38 Prozent der 138 Betriebe mit bekannten Behinderungsversuchen die Wahl letztlich vereitelt worden. Dabei gab es erhebliche Unterschiede zwischen erstmaligen und Wiederholungswahlen: In den Betrieben, in denen Beschäftigte erstmals einen Betriebsrat wählen wollten, fanden sogar 45 Prozent der Wahlen letztlich nicht statt.
Wie häufig insgesamt das Management in Betriebsratswahlen eingreift, können die WSI-Experten für die untersuchten Organisationsbereiche von IG Metall, IGBCE und NGG ebenfalls abschätzen. In den 30 Bezirken der IGBCE, den Zuständigkeitsbereichen der 74 IG-Metall-Geschäftsstellen sowie der 27 NGG-Regionen, die in die Befragung einbezogen waren, gab es im Untersuchungszeitraum Wahlen zu insgesamt 8085 Betriebsräten. Bei 1,7 Prozent dieser Wahlen erhielten die drei Gewerkschaften also Kenntnis von Obstruktionsversuchen des Managements. Weitaus häufiger waren jedoch Schikanen bei Neugründungen von Betriebsräten: Bezogen auf die 495 in den untersuchten örtlichen Grundeinheiten erstmals durchgeführten Betriebsratswahlen betrug die Quote 21,2 Prozent.
„Arbeitgeber*innen, die Betriebsräte verhindern, schneiden sich ins eigene Fleisch“
Dieser erhebliche Anteil relativiere die vermeintlich niedrige Gesamtquote, betonen die Wissenschaftler. Denn die Unternehmenslandschaft sei immer in Bewegung: Neue Firmen werden gegründet, manche ältere verschwinden. Ähnliches gelte für Betriebsräte. „Allein, um den Bestand im vermeintlich stabilen Kern zu halten, müssten stets neue Betriebsräte gebildet werden. Durch entsprechende Angriffe auf Neugründungsaktivitäten wird nun dieser Kern in seiner Reproduktionsfähigkeit behindert und somit das gesamte System der betrieblichen Mitbestimmung destabilisiert“, so Behrens und Dribbusch.
Das ist eine gesellschaftlich und auch gesamtwirtschaftlich hoch riskante Entwicklung, analysiert Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, die wissenschaftliche Direktorin des WSI: „Gerade in Zeiten des Wandels sind Betriebsräte wichtig, damit die Arbeit der Zukunft gemeinsam mit den Beschäftigten gestaltet werden kann. Nur so können große gesellschaftliche Projekte wie zum Beispiel die sozial-ökologische Transformation gelingen. Zum einen, weil die Perspektiven und Interessen der Beschäftigten berücksichtigt werden und sie so den Weg des Wandels mitgehen und zum anderen, weil wir aus der Forschung wissen, dass die Einbindung der Expertise der Beschäftigten über den Betriebsrat in der Regel zu besseren Ergebnissen führt“, sagt die Soziologin. „Davon profitieren dann auch die Arbeitgeber*innen. Arbeitgeber*innen, die Betriebsräte verhindern, schneiden sich ins eigene Fleisch.“ (Mehr zu ökonomischen und sozialen Wirkungen von Mitbestimmung im unten verlinkten Forschungsüberblick).
Behrens und Dribbusch haben auch untersucht, wie das Repertoire der Aktivitäten gegen die Mitbestimmung aussieht. Um Betriebsratswahlen zu sabotieren, pflegen Arbeitgeber demnach vor allem mögliche Kandidat*innen einzuschüchtern. Das geschah laut der Befragung in 62 Prozent der Fälle, in denen es zu einer Behinderung kam. In 58 Prozent der Konfliktfälle versuchten Arbeitgeber, die Bestellung eines Wahlvorstands zu verhindern, bei 45 Prozent unterstützten sie ihnen nahestehende Kandidat*innen. In 21 Prozent der betroffenen Betriebe wurde sogar Kandidat*innen gekündigt. Nach Angabe der befragten Gewerkschafter*innen nahmen gut 47 Prozent der Arbeitgeber, die Betriebsratswahlen behinderten, bei ihren Störaktionen externe Hilfe durch Anwaltskanzleien oder Unternehmensberatungen in Anspruch. Auch dies ist bei mittelgroßen Betrieben besonders verbreitet.
„Ist ein Betriebsrat erst einmal etabliert, arrangieren sich die meisten Unternehmen bald mit dessen Existenz und sehen eher selten Gründe, seine Arbeit prinzipiell in Frage zu stellen. Wollen Belegschaften hingegen erstmalig einen Betriebsrat errichten, müssen sie vergleichsweise häufig mit zum Teil sogar massivem Widerstand der Geschäftsleitungen rechnen“, resümieren die Forscher. Das gesetzlich verbriefte Recht, einen Betriebsrat wählen zu dürfen, müsse oft gegen starke Widerstände erstritten werden, was „Engagement und Mut“ der Beschäftigten erfordere. „Wenn mit Widerstand seitens der Arbeitgeber*innen zu rechnen ist, benötigen sie in der Regel darüber hinaus die Unterstützung der zuständigen Gewerkschaft.“
Die Untersuchung unterstreicht nach Analyse der Forscher, wie notwendig ein erweiterter gesetzlicher Schutz vor Eingriffen des Managements ist. Wichtig seien einerseits gesetzliche Reformen, die auch Kandidat*innen bei Betriebsratswahlen noch besser gegen Repressionen des Arbeitgebers absichern. Andererseits müssten Verstöße wirksamer als bisher sanktioniert werden. Expert*innen raten daher etwa zur Bildung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften, die auf gesetzwidrige Eingriffe von Unternehmen in Betriebsratswahlen spezialisiert sind und diese verfolgen. Die im Koalitionsvertrag der amtierenden Bundesregierung vorgesehene Hochstufung der Behinderung von Betriebsratswahlen vom Antragsdelikt zum Offizialdelikt stehe zudem noch aus. Durch diese Reform wären Staatsanwaltschaften „von Amts wegen“ verpflichtet, die Behinderung von Betriebsratswahlen zu verfolgen, sobald sie Kenntnis davon erlangen.
Die Befragung zeigt schließlich auch, dass gesetzliche Verbesserungen genutzt werden – manchmal sogar dann, wenn sie unnötig kompliziert sind. Das gilt für den Schutz von Beschäftigten, die eine Betriebsratswahl initiieren, ohne dann selber anzutreten. Im Betriebsrätemodernisierungsgesetz von 2021 wurde diese Personengruppe, die für die Einführung von Mitbestimmung im Betrieb sehr wichtig sein kann, erstmals abgesichert. Doch anders als im Falle des besonderen Kündigungsschutzes für gewählte Betriebsräte sieht das Gesetz vor, dass die Gründungsabsicht erst einmal durch „öffentlich beglaubigte Erklärung“ notariell beurkundet werden muss. Diese Hürde wurde vielfach kritisiert, denn es erscheint unwahrscheinlich, dass Wahlinitiator*innen in großer Zahl den umständlichen und auch kostenträchtigen Weg zum Notar gehen. Die neue WSI-Befragung liefert nun Daten, die die Forscher Behrens und Dribbusch überraschten: Immerhin bei 38 der insgesamt 131 untersuchten Gewerkschaftsgliederungen gaben die Expert*innen an, dass sie von diesem Instrument schon einmal Gebrauch gemacht haben. Insgesamt konnten auf diese Weise in 85 Einzelfällen Betriebsratsgründungen unterstützt werden.
Martin Behrens, Heiner Dribbusch
Mitbestimmung bleibt umkämpft. Ergebnisse der vierten Befragung zur Be- und Verhinderung von Betriebsratswahlen. Pre-Print des Beitrags, der am 1. Dezember in Heft 6 der WSI-Mitteilungen veröffentlicht wird.
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Forschungsüberblick
Welche Effekte hat Mitbestimmung – für Arbeitsbedingungen, sozial und wirtschaftlich?
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