06.05.2024 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Ernst & Young GmbH.
Ausländische Investoren haben ihr Engagement in Deutschland im vergangenen Jahr deutlich reduziert: Die Zahl der von ausländischen Unternehmen in Deutschland angekündigten Investitionsprojekte sank im Vergleich zum Vorjahr um 12 Prozent auf 733 – und damit auf den niedrigsten Stand seit dem Jahr 2013. Das vergangene Jahr war zudem das sechste Jahr in Folge mit einer rückläufigen Investitionstätigkeit ausländischer Unternehmen in Deutschland.
Europaweit wurden im vergangenen Jahr insgesamt 5.694 Investitionsprojekte ausländischer Investoren angekündigt, ein Rückgang um vier Prozent. Das Vor-Pandemie-Niveau bleibt damit in weiter Ferne: Europaweit lag die Investitionstätigkeit elf Prozent niedriger als im Vor-Pandemie-Jahr 2019 und sogar 14 Prozent niedriger als im Rekordjahr 2017. Spitzenreiter im Europa-Ranking bleibt Frankreich – trotz eines Rückgangs der Zahl der Investitionsprojekte um fünf Prozent auf 1.194. Großbritannien belegt den zweiten Platz im Ranking, die Zahl der Projekte stieg um sechs Prozent auf 985.
Unter den größeren europäischen Standorten entwickelten sich im vergangenen Jahr die Türkei und die Schweiz besonders dynamisch: Die Türkei verzeichnete einen Anstieg der Investitionen um 17 Prozent und belegt nun hinter Deutschland den vierten Platz im Ranking, die Schweiz klettert dank eines Anstiegs der Investitionen um 53 Prozent auf Rang 12. Das sind Ergebnisse einer Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY zu Investitionsprojekten ausländischer Unternehmen in Europa. Für die Studie werden Investitionsprojekte erfasst, die zur Schaffung neuer Standorte und neuer Arbeitsplätze führen; Portfolio- und M&A-Investitionen werden hingegen nicht berücksichtigt.
Die kontinuierlich sinkende Zahl ausländischer Investitionsprojekte in Deutschland hält Henrik Ahlers, Vorsitzender der Geschäftsführung bei EY, für sehr beunruhigend: „Das ist ein Alarmsignal. Deutschland wird abgehängt, andere europäische Standorte entwickeln sich viel dynamischer.“ Seit 2017 ist die Zahl der Investitionsprojekte in Deutschland um 35 Prozent gesunken. In Großbritannien ist sie im gleichen Zeitraum um 18 Prozent gesunken, in Frankreich hingegen um 20 Prozent gestiegen. „Frankreich ist der große Brexit-Gewinner. Deutschland hingegen hat sogar noch mehr Investitionen verloren als Großbritannien.“
Aus Ahlers Sicht gibt es eine Vielzahl von Gründen für das schwache Abschneiden Deutschlands: „Wir haben in Deutschland eine hohe Steuerbelastung, hohe Arbeitskosten, teure Energie und gleichzeitig eine lähmende Bürokratie. Das Ergebnis: Die Investitionen sinken, die Stimmung bei Verbrauchern wie Unternehmen ist im Keller, die Konjunktur entwickelt sich so schwach wie in keinem anderen Industrieland“.
Mit dem „Inflation Reduction Act“ hätten die USA zudem den Standortwettbewerb weiter verschärft, warnt Ahlers – und Europa hat bislang keine Antwort gefunden: „Die USA gewähren massive Steuergutschriften bei Investitionen in grüne Technologien, was die Produktionskosten stark reduziert und den Standort USA deutlich nach vorn gebracht hat – auf Kosten Europas."
US-Unternehmen waren im vergangenen Jahr die wichtigsten Investoren in Europa – die Zahl der Investitionsprojekte schrumpfte allerdings um 15 Prozent. In Deutschland wurden sogar 22 Prozent weniger US-Investitionen gezählt als im Vorjahr. „Die US-Standortpolitik zeigt Wirkung“, sagt Ahlers. „US-Konzerne investieren offenbar verstärkt im eigenen Land und seltener in Europa.“ Dass es in den vergangenen Jahren einige sehr große und prominente von US-Technologiekonzernen gerade in Deutschland gab, mache aber Hoffnung, so Ahlers. Er verweist auf die 2,3-Milliarden-Euro Investition des US-Pharmakonzern Lilly in eine moderne Produktionsanlage im rheinland-pfälzischen Alzey, Intels geplante neue Chipfabrik in Magdeburg oder Apples Milliarden-Investition in ein Münchner Chip-Zentrum.
„US-Investoren haben den Standort Deutschland keineswegs abgeschrieben“, so Ahlers. „Aber das Vertrauen der Unternehmen in den Standort Deutschland ist erschüttert, und es sollte eine der Top-Prioritäten für die deutsche Politik und Wirtschaft sein, dieses Vertrauen wieder herzustellen. Dabei kann es aber nicht um einen Subventionswettlauf gehen. Es gilt vielmehr, die Rahmenbedingungen so zu verbessern, dass Deutschland in Bezug auf den Arbeitsmarkt, die Infrastruktur und auch die Kostensituation für Investoren wieder erste Wahl ist.“
Nicht nur US-Konzerne, auch britische und türkische Unternehmen – die dritt- und viertwichtigsten Investoren in Deutschland – fuhren ihr Engagement hierzulande deutlich herunter: Britische Unternehmen reduzierten die Zahl der Investitionsprojekte in Deutschland um 24 Prozent, türkische Unternehmen sogar um 44 Prozent. Positiv entwickelten sich hingegen die Investitionen chinesischer (plus 16 Prozent) und Schweizer Unternehmen (plus 27 Prozent). Chinesische Unternehmen sind damit nach US-Konzernen die zweitwichtigste Investorengruppe in Deutschland.
Die Zahl der Investitionsprojekte deutscher Unternehmen im europäischen Ausland ging im vergangenen Jahr um zehn Prozent auf 620 zurück. Dennoch bleiben deutsche Unternehmen die zweitwichtigsten Investoren in Europa – hinter den USA. In den Ländern Mittel- und Osteuropas stellen deutsche Unternehmen sogar vor den USA die wichtigste Investorengruppe dar.
Das Top-Investitionsziel deutscher Unternehmen ist aber das Nachbarland Frankreich: Mit 183 Investitionsprojekten ist Deutschland hinter den USA der zweitgrößte Investor in Frankreich. Umgekehrt investieren französische Unternehmen allerdings eher selten in Deutschland: Gerade einmal 30 Investitionsprojekte französischer Unternehmen in Deutschland wurden 2023 gezählt.
Während deutsche Unternehmen im vergangenen Jahr 620 Projekte im europäischen Ausland durchgeführt bzw. begonnen haben, bei denen knapp 47.690 neue Jobs entstehen, wurden umgekehrt nur 400 Projekte europäischer Unternehmen in Deutschland registriert, bei denen etwa 9.000 Arbeitsplätze geschaffen werden.
„Deutsche Unternehmen sind ein wichtiger Jobmotor in Europa“, betont Ahlers. „Diese wichtige Rolle Deutschlands innerhalb Europas wird oft nicht gesehen. Nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa profitieren vom wirtschaftlichen Erfolg und der starken Exportorientierung der deutschen Wirtschaft. Deutsche Unternehmen haben in der Vergangenen Dekade hunderttausende Arbeitsplätze in Europa geschaffen.“
Ahlers ist skeptisch, ob es in diesem Jahr gelingen wird, die Investitionstätigkeit in Europa und vor allem in Deutschland deutlich anzukurbeln: „Die Probleme in Deutschland liegen tief und sind auch struktureller Art. Eine Trendwende wird daher nicht von heute auf morgen gelingen, sondern muss vielschichtig sein. Zunächst brauchen wir eine echte Steuerreform und einen Abbau von Regulierungsschranken. Wirtschaftsfreundliche Reformen müssen nicht nur diskutiert, sondern auch umgesetzt werden“, sagt Ahlers.
Bild: PublicDomainPictures (Pixabay, Pixabay License)
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