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„Bück dich hoch!“ – dann fliegst du raus

12.07.2012  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: Arbeitsgericht Herford.

Wieder einmal sorgt ein Eintrag bei Facebook für einen Streit zwischen Arbeitgeber und –nehmer. Das Arbeitsgericht Herford hatte zu entscheiden, ob der Eintrag des Mitarbeiters eine Kündigung rechtfertigt. Die Parteien einigten sich mittlerweile außergerichtlich, doch die Streitpunkte bleiben aktuell und bis auf Weiteres auch ungeklärt.

In dem Verfahren 1 Ca 501/12 wehrte sich der Kläger gegen eine außerordentliche Kündigung vom 20.04.2012. Die Parteien haben sich - kurz vor dem Gütetermin vom 20.06.2012 - außergerichtlich verglichen. Der Gütetermin vom 20.06.2012 wurde daraufhin aufgehoben.

Der Kläger war seit dem 21.11.2011 wegen eines Bandscheibenleidens durchgehend arbeitsunfähig krank. Nachdem er Ende März 2012 eine stationäre Rehabilitation abgeschlossen hatte, beantragte er die Wiedereingliederung nach dem sogenannten „Hamburger Modell“ bei der Beklagten. Dies lehnte die Beklagte ab - nach ihrem Bekunden nur deswegen, weil der Antrag zu kurzfristig gestellt worden war. Sie bot ihm wegen der Arbeitsunfähigkeitszeiten einen Aufhebungsvertrag an, den der Kläger ablehnen ließ.

Daraufhin flog der Kläger für die Zeit vom 07.04. bis 09.04.2012 nach Barcelona und postete auf facebook: „Wünsche Euch allen frohe Ostern!!! aus Barcelona“.

Arbeitskollegen, die der Kläger auf facebook als „Freunde“ akzeptiert hatte, wünschten dem Kläger teilweise schöne Urlaubstage. Andere merkten kritisch an: „Wusste gar nicht, dass du noch eine Kur bekommen hast und das im Ausland. Welche Versicherung hast Du? Ich wollte dann ja auch dahin. Gute Besserung noch!!!“. Dieser facebook-Schriftverkehr wurde dem Geschäftsführer der Beklagten, der selbst über keinen facebook-Account verfügt, durch Vorlage von Ausdrucken von einem Farbdrucker zugänglich gemacht.

Am 16.04.2012 schrieb der Kläger auf seinem facebook-Profil: „BÜCK DICH HOCH!!!! Hhm, mal überlegen. Wieso gefällt mir ausgerechnet das Lied von Deichkind, my friends????“.

Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fristlos und hilfsweise fristgerecht zum 31.05.2012. In dem Kündigungsschreiben heißt es unter anderem: „Wir erfuhren am 16.04.2012, dass Sie auf Ihrem Facebook-Profil, auf das unter anderem sowohl einige unserer Mitarbeiter, als auch Mitarbeiter von Zulieferer-Firmen sowie deren Inhaber Zugriff haben, auf das bekannte Lied „Bück dich hoch“ von Deichkind verweisen und zwar mit der wörtlichen Aussage: „Bück dich hoch!!! Hm, mal überlegen. Wieso gefällt mir ausgerechnet das Lied von Deichkind, my friends!!!“. Diese Ihre Äußerung kann nur so verstanden werden, dass Sie die von Deichkind besungenen mit den bei uns herrschenden Arbeitsbedingungen gleichsetzen. Genauso ist Ihre Äußerung im Übrigen auch bei den Mitarbeitern angekommen. Dadurch, dass Sie unsere Arbeitsbedingungen mit den von Deichkind besungenen vergleichen, werfen Sie uns menschenverachtende Arbeitsbedingungen vor, bei denen die Mitarbeiter aus unserer reinen Profitgier unter Gefährdung ihrer Gesundheit ausgebeutet werden. … Da Sie wussten, dass diese Äußerungen auch von Dritten, namentlich den Mitarbeitern von Zulieferfirmen wahrgenommen werden, ist Ihnen außerdem der Vorwurf zu machen, dass Sie nicht versucht haben, eventuelle Missstände zunächst innerbetrieblich zu klären, bevor Sie sie in einer unangemessenen Art und Weise über Facebook veröffentlichten. …“

Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

Posten von „Bück Dich hoch“

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (zuletzt BAG vom 10.12.2009 - 2 AZR 534/08) können Arbeitnehmer unternehmensöffentlich Kritik am Arbeitgeber und an den betrieblichen Verhältnisse üben und sich gegebenenfalls auch überspitzt oder polemisch äußern.

Nur grobe Beleidigungen des Arbeitgebers und/oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten, stellen einen gewichtigen Verstoß gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des Vertragspartners (§ 241 Abs. 2 BGB) dar und können „an sich“ eine außerordentliche fristlose Kündigung rechtfertigen.

Der Arbeitnehmer kann sich in diesem Fall nicht auf sein Recht zur freien Meinungsäußerung berufen (Art. 5 Abs. 1 GG). Denn dieses Grundrecht schützt weder Formalbeleidigungen und Schmähungen, noch bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen. Die Meinungsfreiheit wird insbesondere durch das Recht der persönlichen Ehre gemäß Art. 5 Abs. 2 GG beschränkt.

Ein zur Entscheidung berufenes Gericht hätte somit im vorliegenden Fall zunächst prüfen müssen, ob der Kläger die Interessen seines Vertragspartners missachtet hat, hier in der facebook-Bemerkung des Klägers überhaupt Kritik an seinem konkreten Arbeitgeber geübt wurde.

Ein Arbeitskollege hat zwar zurückgepostet: „Ich hab da auch einige Parallelen erkannt. Weniger wegen dem Refrain“. Ob auch unbeteiligte Dritte diese Äußerung nur so verstehen konnten, dass der Kläger die von Deichkind besungenen Arbeitsbedingungen mit denen bei der Beklagten herrschenden Arbeitsbedingungen gleichsetzte, wäre erste Voraussetzung einer Kündigung gewesen.

Sofern die Gerichte dies bejaht hätten, wäre dann zu prüfen gewesen, ob es sich nur um eine „unternehmensöffentlich am Arbeitgeber und den betrieblichen Verhältnissen… gegebenenfalls auch überspitzte oder polemisch geäußerte Kritik“ handelte oder ob darin eine grobe Beleidigung des Arbeitgebers und eine erhebliche Ehrverletzung der Geschäftsführung der Beklagten zu sehen wäre.

Erst wenn man letzteres bejahen wollte, wären dann die Umstände zu berücksichtigen, unter denen die ehrverletzende Äußerung gefallen ist. „Ein Arbeitnehmer ist nicht gehalten, von seinem Arbeitgeber und von seinen Kollegen nur positiv zu denken und sich in seiner Privatsphäre ausschließlich positiv über sie zu äußern“, urteilt das Bundesarbeitsgericht.

Deswegen steht das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung auf dem Standpunkt, dass auch eine ehrverletzende Äußerung, sofern diese lediglich im vertraulichen Gespräch unter Arbeitskollegen geäußert wurde, eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht ohne weiteres zu rechtfertigen vermag (zuletzt BAG vom 10.10.2002 - 2 AZR 418/01). Der Arbeitnehmer darf anlässlich solcher Gespräche regelmäßig darauf vertrauen, seine Äußerungen würden nicht nach außen getragen. Er muss nicht damit rechnen, durch sie werde der Betriebsfrieden gestört und das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber belastet. Vertrauliche Äußerungen unterfallen dem Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Die vertrauliche Kommunikation in der Privatsphäre ist Ausdruck der Persönlichkeit und grundrechtlich gewährleistet. Äußerungen, die gegenüber Außenstehenden oder der Öffentlichkeit wegen ihres ehrverletzenden Gehalts nicht schutzwürdig wären, genießen in Vertraulichkeitsbeziehungen als Ausdruck der Persönlichkeit und Bedingung ihrer Entfaltung verfassungsrechtlichen Schutz, der dem Schutz der Ehre durch die Äußerung der Betroffenen vorgeht (unter Verweis auf Bundesverfassungsgericht vom 27.07.2009 - II BvR 2186/07). Hebt der Gesprächspartner später gegen den Willen des sich negativ äußernden Arbeitnehmers die Vertraulichkeit auf, geht dies arbeitsrechtlich nicht zu dessen Lasten.

Im Rahmen der Prüfung, ob es sich bei dem Posten einer Auffassung auf facebook um eine vertrauliche Meinungsäußerung handelt, werden in der Literatur vor allem zwei Argumente vorgebracht: Zum einen ist eine Meinungsäußerung auf facebook „verschriftlicht“, d.h. sie ist nicht so flüchtig, wie das gesprochene Wort. Zum anderen ist fraglich, ob es sich bei einem Facebook-„Freundeskreis“ von vielen Arbeitskollegen und Beschäftigten anderer Firmen um ein „vertrauliches“ Gespräch handelt , also ob ein Arbeitnehmer „regelmäßig“ darauf vertrauen kann, seine Äußerungen würden in einem derartig großen „Freundeskreis“ nicht nach außen getragen.

Die Beklagte hatte auch die Unmutsäußerungen der Arbeitskollegen des Klägers im Betrieb der Beklagten in das Verfahren eingebracht, die für den Kläger „mitarbeiten“ mussten, während sich der Kläger während seiner Arbeitsunfähigkeit in Barcelona aufhielt.

Sofern der Arbeitgeber damit behaupten will, der Arbeitnehmer sei in Wahrheit gar nicht arbeitsunfähig krank, er habe sich die Arbeitsunfähigkeit erschlichen, muss er dies im Prozess substantiiert vortragen und gegebenenfalls beweisen. Der Beweis wird in der Regel geführt durch die Vernehmung desjenigen Arztes, der die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt hat.

Sofern der Arbeitgeber der Ansicht ist, dem Arbeitnehmer sei zu Recht Arbeitsunfähigkeit attestiert worden, kann sich der Arbeitnehmer räumlich grundsätzlich überall aufhalten, soweit ihm nicht Bettruhe verordnet ist. Dann ist nur noch zu prüfen, ob es sich bei dem konkreten Verhalten des Arbeitnehmers um ein sogenanntes „genesungswidriges“ Verhalten handelt. Dies drängt sich bei einer Städtetour nach Barcelona und dem Krankheitsbild des Klägers nicht unbedingt auf.

Zusammenfassend bedeutet dies:

Der Kläger hätte seinen Kündigungsschutzprozess gewonnen und seine Weiterbeschäftigung erzwingen können, wenn die Arbeitsgerichte zu der Auffassung gekommen wären, das Lied „Bück Dich hoch von Deichkind“ wäre (nur) eine satirische Beschreibung der Zustände in deutschen Betrieben im Allgemeinen oder im Betrieb der Beklagten im Besonderen.

Wären die Gerichte dagegen zur Auffassung gelangt, es handele sich um eine grobe Beleidigung bzw. eine erhebliche Ehrverletzung der Geschäftsführung der Beklagten, weil ihr „menschenverachtende Arbeitsbedingungen …, bei denen die Mitarbeiter aus unserer reinen Profitgier unter Gefährdung ihrer Gesundheit ausgebeutet werden“, vorgeworfen werden könnten, hätte sich der Kläger wohl schwerlich auf die „Vertraulichkeit“ berufen können und es wäre geprüft worden, ob das Arbeitsverhältnis aufgrund der außerordentlichen, fristlosen Kündigung oder jedenfalls aufgrund der hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung sein Ende gefunden hätte.

Nachdem schon die zweite Kammer dieses Gerichts über die Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes urteilen musste, der einen Roman mit dem Titel „Wer die Hölle fürchtet, kennt das Büro nicht!“ geschrieben hatte, in dem sich einige Arbeitskollegen unvorteilhaft beschrieben sahen (ArbG Herford vom 18.02.2011 – 2 Ca 1394/10 sowie LAG Hamm vom 17.05.2011 – 13 Sa 436/11 (beide in: juris)), drängt sich eine Frage auf: Haben Ostwestfalen Humor – und wenn ja, wie viel? Manchmal schon, denn der Kläger des zuletzt geschilderten Verfahrens arbeitet zwischenzeitlich wieder in seiner alten Firma.

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