19.02.2020 — Moira Frank. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Um das Thema kommt man schon seit einer ganzen Weile nicht mehr herum. Achtsamkeit, also der bewusste Umgang mit sich selbst, seinem Körper und vor allem seinen Bedürfnissen, ist derzeit eindeutig im Trend – aber keineswegs ein neues Prinzip! Auch im Buddhismus und der Meditation werden verschiedene Formen der Achtsamkeit auf den Körper und Geist gelehrt. In den 1960er Jahren wurde dieses Konzept wie viele östliche Meditationstechniken von der westlichen Psychotherapie aufgegriffen. Der Molekularbiologe Jon Kabat-Zinn entwickelte in den 1970ern Mindfulness-Based Stress Reduction, ein Programm, das mittels der Theorien der Achtsamkeit bei Stress- und Angstbewältigung helfen sollte. Seitdem hat sich die Achtsamkeitspraxis auch in anderen Formen der Therapie und Prävention bewährt.
Gelassener durch den Arbeitstag dank Ärger- und Emotionsmanagement
Heute gilt Achtsamkeit deshalb als eine entscheidende Voraussetzung für erhöhte Stresstoleranz und bessere Stressprävention. Sie soll dabei helfen, im hektischen, überfordernden Alltag bewusster mit den eigenen Gefühlen umzugehen, Belastungen rechtzeitig zu erkennen und das Selbstwertgefühl zu stärken. Das soll auf Dauer zufriedener machen und gesundheitlichen Problemen, die mit Ärger und Stress einhergehen, vorbeugen. Achtsamkeit soll uns resilienter, also widerstandsfähiger machen – noch so ein Wort, das in den letzten Jahren in aller Munde ist.
Die „neue“ Achtsamkeits-Bewegung beschäftigt sich besonders mit Digitalisierung und Arbeitsalltag, denn hier ist der Bedarf nach Entschleunigung, Selbstreflexion und Stressbewältigung hoch.
Immer mehr Menschen beginnen den Tag mit einem verschlafenen Blick aufs Smartphone und die verpassten Notifications. Tagsüber geht es so weiter. Das Checken des Handys ist für viele Menschen zum alltäglichen Reflex geworden, selbst wenn sie gar keine wichtigen Nachrichten erwarten. Kein Wunder, ist das durchschnittliche Handy doch heute viel mehr als nur ein Telefon: Wir nutzen es als Navi, Fotoapparat und MP3-Player, schauen damit schnell im Internet nach und nutzen es sogar an der Kasse zum Bezahlen. Doch nicht nur das Handy ist ein Problem. Am Arbeitscomputer geht es gleich weiter, oft mit vielen verschiedenen Prozessen und Programmen.
Dazu kommen die Sozialen Medien, die eine ständige Selbstdarstellung durch Likes und vermeintliche Community-Zugehörigkeit belohnen – wer nicht kontinuierlich Food-, Fitness- und Familienbilder postet, geht schnell unter. Wer Facebook, Instagram und Whatsapp die Push-Notifications entzogen oder sich gar ganz abgemeldet hat, ist zwar vor dem Performance-Drang sicher, aber über Anrufe, SMS und E-Mail immer noch ständig erreichbar. Darunter leiden wir nicht nur selbst, sondern auch die Beziehungen zu unseren Mitmenschen, sei es zur Familie oder zu Arbeitskolleg*innen.
Es muss nicht gleich der komplette Digital Detox sein, der uns zu mehr Achtsamkeit im Umgang mit digitalen Medien und Prozessen verhilft. Oft hilft schon, einmal alle Apps aufzuräumen und nur die zu behalten, die man aktiv – und gern und gewinnbringend – nutzt. Anschließend erhalten nur die wirklich wichtigen Apps die Erlaubnis, Notifications zu schicken, während man alle anderen einmal morgens und einmal abends checkt. Was nicht vermisst wird, kann ganz gelöscht werden.
Viele Smartphones und auch einige Apps erlauben zudem die Einstellung eines Nutzungszeitraums: Wer die tägliche halbe Stunde in der Kategorie „Spiele“ aufgebraucht hat, kann nicht weiter auf entsprechende Apps zugreifen. Wer gern auf Instagram postet, kann Beiträge schon vorher in den Entwürfen speichern und so nur zur Post-Zeit auf die App zugreifen. Auf Spaziergängen kann das Handy ruhig mal zu Hause bleiben, genauso könnten das Schlafzimmer und der Esstisch zur handyfreien Zone erklärt werden. Kolleg*innen auf der Arbeit kann man kurz persönlich besuchen, statt Ihnen vom Computer zu schreiben. Wer sich langweilt und instinktiv zum Handy greift, kann stattdessen zum Notizzettel greifen und kritzeln.
Im ersten Moment wirken diese Maßnahmen wie eine Beschränkung, doch sie haben vor allem eine befreiende Wirkung. Mit etwas Übung fällt es einem so auch viel leichter, Instinkte und wahre Bedürfnisse auseinanderzuhalten.
Feierabend und Schluss mit der Arbeit? Für viele Menschen geht es abends noch weiter – E-Mails müssen beantwortet und Projekte verschoben werden. Wer organisiert noch mal das Treffen mit den Kolleg*innen – und muss ich da eigentlich hin? Schnell hat man eine Stunde länger gearbeitet, als man eigentlich sollte. Von den verschwimmenden Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit noch stärker betroffen sind viele Führungskräfte, Mitarbeiter*innen im Homeoffice und die, die wichtige Personalentscheidungen treffen. Die Folgen sind vielfältig: Stress, Müdigkeit, innere und äußere Unruhe und Schwierigkeiten, Emotionen zu regeln.
Hier ist es nicht nur an einzelnen Mitarbeiter*innen, achtsamer zu arbeiten und nach Feierabend das Diensthandy abzuschalten. Vorgesetzte müssen hier für klare Regeln zu Feierabend und Überstunden sorgen, damit niemand sich unter Druck gesetzt oder unfair behandelt fühlt, und selbst mit gutem Beispiel vorangehen. Arbeit sollte Arbeit bleiben und nicht an der knappen Freizeit nagen – nur so kann sie auf Dauer Spaß statt krank machen.
Übrigens: Schon 2011 beschloss die Volkswagen AG, Diensthandys abends abzuschalten. Von Achtsamkeit war damals noch nicht die Rede – aber das Problem der ständigen Erreichbarkeit schon vorhanden.
Wie an jeder Bewegung gibt es auch an der Achtsamkeitsbewegung Kritik. Statt tatsächlich achtsamer zu werden, würden viele Menschen nun versuchen, ihre Achtsamkeit nach Anleitungen zu perfektionieren. Der Achtsamkeitstrend sei, so Kritiker*innen, nur ein gut verkaufter Selbstoptimierungszwang, der Wellness verspricht und stattdessen neuen Stress bringt. Sie verweisen auf die vielen neuen Seminare, Podcasts und Fachbücher zu dem Thema, die eher einen Trend ausschlachten als wirklich etwas verändern würden.
Wie so oft bei Hypes gilt auch hier: Es gibt nicht das eine Achtsamkeits-Rezept, das allen Menschen dabei hilft, aufmerksamer gegenüber den eigenen Bedürfnissen zu sein. Einigen hilft es, in einem Kalender oder gar einer App täglich zu tracken, wie sie sich fühlen, wie produktiv sie waren und ob sie etwas Schönes für sich getan haben. Andere wissen nicht, wo sie anfangen sollen, und suchen Hilfe im Seminar. Wieder andere haben Achtsamkeit auch ohne die diversen Theorien schon ganz gut selber drauf. Finden auch Sie den Weg, der für Sie passt!
Bild: nicollazzi xiong (Pexels, Pexels Lizenz)
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