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Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten (Kommentar von Udo Cremer)

15.01.2019  — Udo Cremer.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Eheleute, die im Streitjahr 2007 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurden, klagten gegen die Nichtanerkennung einer Einzelrückstellung für ungewissen Verbindlichkeiten. Doch Einspruch und Klage blieben erfolglos. Udo Cremer kommentiert das Urteil für Sie.

  1. Die Anforderungen an die Bildung einer Rückstellung wegen ungewisser Verbindlichkeiten sind durch die BFH-Rechtsprechung hinlänglich geklärt.
  2. Wurde der Werkmangel durch den Besteller bis zum Bilanzstichtag noch nicht gerügt und beruhte dies maßgeblich darauf, dass der (objektiv angelegte) Mangel bis zu jenem Stichtag noch keine erkennbare betriebsbeeinträchtigende Wirkung entfaltete und hatten folglich die Vertragsbeteiligten noch keine Kenntnis vom Mangel, liegt es nahe, dass der Werkunternehmer am Bilanzstichtag noch nicht ernsthaft mit einer Inanspruchnahme zur Gewährleistung rechnen musste.

Die Kläger sind Eheleute, die im Streitjahr 2007 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt werden. Der Kläger erzielte im Streitjahr aus einem Einzelunternehmen (gewerbesteuerpflichtige) Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Er ermittelte seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich (§ 5 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG). Der Kläger bildete in seiner Ende Juli 2008 auf den 31. Dezember 2007 erstellten Handels- und Steuerbilanz neben einer an den Umsätzen orientierten Pauschalrückstellung für Gewährleistungsverpflichtungen eine diesbezügliche Einzelrückstellung (84.160,59 €). Anlass hierfür war, dass der Kläger bei einzelnen bis zum 31. Dezember 2007 erbrachten Werklieferungen (Herstellung und Montage von Planen für Biogasanlagen) nach Mängelanzeigen der Auftraggeber im Mai/Juni 2008 zeitnah Nacherfüllungsarbeiten mit entsprechendem Aufwand durchgeführt hatte.

Nach einer Außenprüfung erkannte das FA die Einzelrückstellung nicht mehr an und erhöhte dementsprechend Gewinn und Gewerbeertrag des Streitjahres. Zur Begründung führte es an, der Kläger habe am Bilanzstichtag 31. Dezember 2007 noch nicht ernsthaft mit einer Inanspruchnahme auf Nacherfüllung rechnen müssen. Einspruch und Klage gegen den geänderten Einkommensteuer- und Gewerbesteuermessbescheid blieben erfolglos.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet (BFH Beschluss vom 28.8.2018, X B 48/18). Nach dem Verständnis des Senats war jedenfalls der Umstand, dass die im Jahr 2008 behobenen Mängel zum Bilanzstichtag 31. Dezember 2007 noch nicht offen zu Tage getreten waren, im FG-Verfahren unstreitig. Gegenteiliges haben die Kläger dort nicht vorgetragen. Auch die Beschwerdebegründung vom 27. April 2018, in der die Kläger auf den S. 7 ff. die Betriebsabläufe der Betreiber der Biogasanlagen darstellen, zeigt deutlich auf, dass die Mängel erst im Jahr 2008 offen zu Tage getreten waren und lediglich die Mängelursache bereits vorher gesetzt worden sein soll. Diesem Sachverhaltsverständnis folgend, misst der Senat dem vom FG aufgestellten Rechtssatz, bei Einzelrückstellungen könnten bis zur Bilanzaufstellung bekannt gewordene Garantiefälle wertaufhellend berücksichtigt werden, sofern als Anknüpfungspunkt hierfür bereits am Bilanzstichtag objektiv "ein Mangel vorgelegen hat", nicht die für die Kläger in der Tat als überraschend zu wertende Schlussfolgerung bei, die Arbeiten des Klägers bis zum Bilanzstichtag als (noch) werkmangelfrei einzuordnen. Vielmehr setzte das FG für Zwecke der Wertaufhellung den noch "nicht aufgetretenen" dem "objektiv noch nicht vorliegenden" Mangel gleich.

Die Anforderungen, nach denen eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB zu bilden ist, sind durch die BFH-Rechtsprechung bereits hinlänglich geklärt. Gleiches gilt für die Frage, welche Ereignisse, die zwar nach dem Bilanzstichtag, aber vor der fristgerechten Bilanzaufstellung eintreten, im Wege der Wertaufhellung noch auf den Bilanzstichtag zu berücksichtigen (d.h. zurückzubeziehen) sind. Die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten erfordert u.a., dass der Schuldner am Bilanzstichtag ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme rechnen muss. Die bloße Möglichkeit des Bestehens oder Entstehens einer Verbindlichkeit reicht insoweit dagegen nicht aus.

Die eine Ernsthaftigkeit der Inanspruchnahme begründende "überwiegende Wahrscheinlichkeit" setzt bei privatrechtlichen Schadensersatzansprüchen entweder die Kenntnis des Gläubigers von den anspruchsbegründenden Umständen oder zumindest dessen unmittelbar bevorstehende Kenntniserlangung voraus. Dies gilt unabhängig von der Rechtsgrundlage, ob also ein Schadensersatzanspruch auf gesetzlicher oder vertraglicher Grundlage beruht. Mit Urteil vom 28. März 2000 VIII R 77/96 (BFHE 191, 339, BStBl II 2002, 227, unter II.2., m.w.N.) hat der BFH diese für Schadensersatzansprüche entwickelten Grundsätze auch auf vertragliche Gewährleistungsansprüche angewendet. Das bedeutet, dass am Bilanzstichtag bereits erhobene Mängelrügen zu beachten sind; auch noch nicht gerügte Mängel sind zu berücksichtigen, wenn und soweit mit einer Inanspruchnahme des Verkäufers zu rechnen ist.

Nach den vorgenannten Grundsätzen ist insbesondere geklärt, dass auch zum Bilanzstichtag noch nicht erhobene Mängelrügen bei wertaufhellender Betrachtung den Ansatz einer Verbindlichkeitsrückstellung rechtfertigen können. Objektiver Anknüpfungspunkt hierfür ist zum einen ein bereits zum Bilanzstichtag vorliegender Mangel. Zum anderen muss bei noch nicht gerügten Mängeln mit einer Inanspruchnahme des Steuerpflichtigen (ernsthaft) zu rechnen sein. Keiner weiteren Klärung bedarf es indes, welche Umstände im jeweiligen Einzelfall einschlägig sein müssen, um die vorgenannten objektiven Anhaltspunkte auszufüllen. Insbesondere gehört es zur Einzelfallwürdigung, ob ein zwar schon angelegter Werkmangel, der aufgrund der Betriebsabläufe des Auftraggebers jedoch am Bilanzstichtag noch nicht in Erscheinung getreten ist ("noch nicht aufgetreten ist") und daher auch noch gar nicht gerügt werden konnte, ausreichend erscheint, um bei wertaufhellender Beurteilung die Ernsthaftigkeit der Inanspruchnahme des Werkunternehmers annehmen zu wollen.

Auch die Rechtsfrage, ob eine Gefahr der Inanspruchnahme des Werkunternehmers auch dann überwiege, wenn den (d.h. beiden) Vertragsparteien der Mangel zum Bilanzstichtag noch nicht bekannt war, lässt sich am Maßstab der bislang aufgestellten Grundsätze für den jeweiligen Einzelfall beantworten und bedarf daher keiner Klärung durch ein Revisionsverfahren. Jedenfalls dann, wenn die beiderseitige Unkenntnis maßgeblich auf dem Umstand beruht, dass der Mangel am Bilanzstichtag noch keine betriebsbeeinträchtigende Wirkung entfaltete und daher gar nicht erkennbar erschien, liegt es nahe, die Gefahr der Inanspruchnahme des Werkunternehmers am Bilanzstichtag noch nicht als überwiegend anzusehen.

Der Autor:

Udo Cremer

Udo Cremer ist geprüfter Bilanzbuchhalter (IHK) und hat die Steuer­beraterprüfung mit Erfolg abgelegt. Er ist als Dozent für Steuer- und Wirtschaftsrecht tätig und veröffentlicht seit mehreren Jahren praxis­orientierte Fachbücher zu den Themen Buchführung, Kostenrechnung, Preiskalkulation, Kennzahlen, Jahresabschluss und Steuerrecht. Daneben wirkt er als Autor an zahlreichen Fachzeitschriften und Loseblatt­sammlungen im Bereich der Buchhaltung und des Steuerrechts mit.

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