29.01.2024 — Rolf Becker. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Der Sportartikelhersteller P. betreibt einen eigenen Online-Shop für Verbraucher. Er hatte sich in einigen Streitigkeiten mit einem Händler verhakt, der ebenfalls solche Sportartikel vertreibt. Der beschwerte sich über Lieferbeeinträchtigungen und sah darin kartellrechtliche Verstöße, für die er Schadensersatz verlangte. Zugleich griff er zahlreiche Punkte der Werbung im Online-Shop des Herstellers an. Nach einer Einigung zur Zahlung von Schadensersatz, die aber nur vorsah, dass der Hersteller sich bemühen solle, bestimmte Verstöße in Zukunft zu vermeiden, setzten sich die Streitigkeiten kurze Zeit später fort. Der Hersteller reklamierte Rechtsmissbrauch und sachfremde Motive. Das Gericht in erster Instanz hielt fest, der Kläger des Verfügungsverfahrens habe sich seine Unterlassungsansprüche bei der Einigung „abkaufen“ lassen. Zusammen mit anderen Punkten (Verfolgung von Hinweispflichten, Streitwertangaben etc.) sei dies rechtsmissbräuchlich.
In zweiter Instanz entschied das OLG Nürnberg (OLG Nürnberg, Urteil vom 19.12.2023, Az. 3 U 2007/23) im Rahmen einer Berufung im vorläufigen Verfügungsverfahren, dass die Verknüpfung von Zahlungen und der Verzicht auf formale Unterlassungsansprüche nicht immer einen Rechtsmissbrauch begründen.
Der Abmahner könne grundsätzlich frei entscheiden, unter welchen Gesichtspunkten er gegen einen Wettbewerber vorgehe und welche Verstöße er angreife. Es darf daher auch ein ohnehin bestehender Streit zum Anlass genommen werden, sich das wettbewerbsrechtliche Verhalten des Wettbewerbers näher anzusehen und Verstöße zu verfolgen. Es muss nur auch darum gehen, solche Verstöße zu unterbinden.
Auch die Verfolgung eines Impressumsverstoßes ist nicht rechtsmissbräuchlich, wenn sie zwar außergerichtlich rechtswidrig mit Kostenansprüchen versehen war, gerichtlich aber ohne Aussicht auf Kostenerstattung außergerichtlicher Kosten fortgesetzt wird und der Verstoß weiterhin besteht. Eine Rechtsmissbräuchlichkeit der Abmahnung spielt nach Ansicht des OLG Nürnberg für die Frage der Rechtsmissbräuchlichkeit der Klage unter den genannten Umständen keine Rolle. Streitwertangaben sah das Gericht angesichts der Größe des Herstellers und der Art der Verstöße nicht als überhöht an.
In der Gesamtsicht erkannten die Richter keine Rechtsmissbräuchlichkeit in den genannten Umständen. Die Zahlung des Schadensersatzes ließ sich mit den behaupteten kartellrechtlichen Verstößen begründen und war auch vom Gegner angeboten worden.
„Die Einbeziehung lauterkeitsrechtlicher Ansprüche in eine Gesamtregelung, mit der die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien (…) auf neue Füße gestellt werden, kann nicht mit einem schlichten „Abkaufen“ gleichgesetzt werden.“
Damit ermöglichen die Nürnberger Richter einem Angreifer die Verknüpfung unterschiedlicher Interessen. Gerade wirtschaftlich unterlegene Angreifer sind häufig darauf angewiesen, das Risiko für den überlegenen Wettbewerber durch eine Vervielfachung der Angriffe zu erhöhen. Nicht selten ergeben sich dann Einigungen, bei denen bestimmte Einzelpunkte insbesondere von Unterlassungsbegehren nicht mit der gleichen formalen Stringenz verfolgt werden. Solange diese Punkte nicht vollkommen unter den Tisch fallen, begründet diese Behandlung nicht ohne weiteres den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs und das ist gut so.
Gegenstand der Angriffe waren auch die Preisangaben des Herstellers. Der hatte mit einem Rabatt von „bis zu 60 %“ für seine Produkte geworben. Der Abmahner hatte festgestellt, dass zumindest bei einer Prüfung kein einziger Artikel diesen Nachlass aufwies. Dies erkannte das OLG Nürnberg als irreführend an. Der Kunde erhoffe sich, dass solche Maximalrabatte, wenn auch nicht in jedem Einzelfall, so doch in der Breite des Angebots Auswirkungen hätten. Der Anlockeffekt war entscheidend, sich mit den Angeboten zu beschäftigen. Diese geschäftliche Entscheidung beruhte aber auf einer Irreführung, da es eben 60 % nirgends gab.
Der Hersteller hatte einen Schuh auf einer Produktübersichtsseite mit einem durchgestrichenen Preis beworben. Der niedrigste Preis der letzten 30 Tage (nP30) war jedoch nicht angegeben. Die Nürnberger Richter stellten in ihrem Urteil klar, dass der nP30 überall angegeben werden müsse, wo mit einer Preisherabsetzung geworben wird, also auch auf einer Produktübersichtsseite. Die später auf der Produktdetailseite erfolgende Angabe reicht danach nicht aus. Dafür spreche die Wendung des Gesetzes, wonach „bei jeder Bekanntgabe einer Preisermäßigung“ der nP30 zu nennen sei.
Die Regelungen zur Eindämmung der Abmahnungen sehen in § 13 Abs. 4 Nr. 1 UWG zu den Abmahnkosten vor:
Der Anspruch auf Ersatz der erforderlichen Aufwendungen nach Absatz 3 ist für Anspruchsberechtigte nach § 8 Absatz 3 Nummer 1 ausgeschlossen bei
1. im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien begangenen Verstößen gegen gesetzliche Informations- und Kennzeichnungspflichten
Der beklagte Hersteller hatte in einem Fall nicht die erforderlichen Angaben nach der Textilkennzeichnungsverordnung im Internet-Shop gemacht, sich aber gegen die Abmahnung mit der Begründung des Rechtsmissbrauchs gewehrt, weil Abmahnkosten dazu beansprucht wurden. Es gehe um Informations- und Kennzeichnungspflichten. Dort seien keine Abmahnkosten erlaubt. Das OLG Nürnberg sah dies anders und stufte die Textilkennzeichnungsangaben als Produktkennzeichen und Warnhinweise ein, die nicht nur im elektronischen Geschäftsverkehr, sondern auch physisch vor Ort zu erfolgen hätten. Die Angaben dienten auch dem Gesundheitsschutz z. B. für Allergiker.
Der abmahnende Händler hatte zudem die Angabe eines früher verlangten Preises zu einem Sportschuh mit zwei Anträgen und der Begründung angegriffen, der genannte Preis sei schon seit 6 Monaten bzw. 10 Monaten nicht mehr verlangt worden. Das sah das OLG Nürnberg aber jetzt als möglich an, da ja der nP30 bei einer Preisherabsetzungswerbung immer mit genannt werden muss. Die Nennung eines weiteren Preises sei nach den Bestimmungen nicht verboten. Dies sehe auch die Gesetzesbegründung vor, solange klar sei, dass sich die Preisermäßigung auf den nP30 bezieht. Die Angabe wecke keine berechtigte Erwartung des Verbrauchers dahingehend, wie lange der angegebene ursprüngliche Preis nicht mehr verlangt worden sei. Dies gelte jedenfalls bei Bekleidungsstücken. Hier sei es üblich, dass die Preise immer weiter bis zum Auslauf der Saison sinken.
Hier ist der Weg zu in der Praxis häufigen Referenzpreisnennungen eröffnet. Allerdings muss wohl aus der Sicht des OLG Nürnberg z. B. der Prozentsatz, den man als Ersparnis angibt, sich wohl auf den nP30 beziehen und nicht auf einen sonstigen Preis. Hierzu wird aber hoffentlich bald der Europäische Gerichtshof ein klarstellendes Urteil fällen.
Das Urteil enthält noch weitere Entscheidungen zu bestimmten Klauseln, die aber den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Insgesamt baut es die Rechtsprechung zum Einwand des Rechtsmissbrauchs praxisgerecht aus und enthält neue Leitlinien zur Werbung mit Preisangaben. Dort bestehen noch viele Unsicherheiten, die rechtsverbindlich aber erst durch den EuGH geklärt werden. Dennoch haben werbende Händler neue Argumentationen zur Hand, etwa wenn es um die Nennung eines Streichpreises geht, der zusätzlich zum nP30, also dem niedrigsten Preis der letzten 30 Tage genannt wird.
Bild: Wesley Tingey (Unsplash, Unsplash Lizenz)