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Gassigehen und dienstliche Telefonate

10.04.2013  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen.

Eine Arbeitnehmerin verbrachte ihre Rufbereitschaft mit einem Spaziergang mit dem Hund. Als sie infolge eines eingehenden Anrufs stürzte, erlitt sie eine Knöchelfraktur. Die Arbeitgeberin verweigerte ihr anschließend die Anerkennung als Arbeitsunfall.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Feststellung eines Arbeitsunfalls.

Die 1949 geborene und in W. wohnhafte Klägerin war als Altenpflegerin bei der K-Unfall-Hilfe e. V. in E. beschäftigt. Am Vormittag des 10.01.2010 unternahm sie in W. während ihrer Rufbereitschaft einen Spaziergang mit ihrem Hund. Während der Rufbereitschaft durfte die Klägerin sich innerhalb des Bezirks E./X. frei bewegen, sie musste aber auf ihrem Diensthandy telefonisch erreichbar sein. Als die Klägerin gegen 11 Uhr eine Straße, an deren Rändern sich Schnee häufte, überquerte, klingelte ihr Diensthandy und die Klägerin nahm den Anruf an. Während die Anruferin, eine Kollegin der Klägerin, ihren Namen nannte, übersah die Klägerin die schneebedeckte Bordsteinkante und stürzte. Dabei zog sie sich eine Knöchelfraktur zu.

Mit Bescheid vom 13.04.2010 lehnte die Beklagte einen Anspruch auf Entschädigung aus Anlass des Ereignisses vom 10.01.2010 ab, weil die unfallbringende Tätigkeit keine versicherte Tätigkeit im Sinne des Unfallversicherungsrechts darstelle.

Die Klägerin erhob Widerspruch. Sie machte geltend, dass während der Rufbereitschaft jeder eingehende Anruf auf dem Diensthandy angenommen und beantwortet werden müsse. Es habe eindeutig eine Rufbereitschaft im dienstlichen Bereich bestanden. Außerdem sei bei jedem Schellen des Diensttelefons besondere Eile geboten. Demnach habe Unfallversicherungsschutz bestanden, weil die betrieblichen Interessen vorrangig gewesen seien und ihr Verhalten beherrscht hätten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29.06.2011 wies die Beklagte den Rechtsbehelf der Klägerin zurück. Zur Begründung führte sie aus: Es liege im Wesen der Rufbereitschaft, dass ein dienstlicher Anruf stets während einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit erfolge. Weil sodann ab Anruf auch eine dienstliche Tätigkeit hinzukomme, entstehe so eine gemischte Tätigkeit. Die Klägerin habe zum Unfallzeitpunkt eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit in Form des Spazierengehens mit dem Hund und eine fremdwirtschaftliche Tätigkeit in Form des dienstlichen Telefonats ausgeübt. Bei einer solchen gemischten Tätigkeit sei entscheidendes Abgrenzungskriterium zur Bejahung des Versicherungsschutzes, ob die Tätigkeit auch dann vorgenommen wäre, wenn der private Zweck entfallen wäre. Wäre die Klägerin mit ihrem Hund nicht dort spazieren gegangen, hätte der Anruf selbst nicht zu der unfallbringenden Tätigkeit geführt. Sie hätte nicht sprechend die Straße überquert und hätte auch nicht den Bordstein verfehlt. Es wäre nicht zu der Verletzung gekommen. Die geltend gemachte "gebotene Eile" könne auch nicht erkannt werden. Die unfallbringende Tätigkeit sei demnach unversichert.

(...)

Entscheidungsgründe

(...)

Die Klägerin war zur Zeit des Unfallereignisses Beschäftigte im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII. Sie hat am 10.01.2006 auch einen Unfall erlitten, als sie stürzte und sich dabei einen Knöchelbruch zuzog. Im Zeitpunkt des Unfallereignisses übte sie eine gemischte Tätigkeit aus, die im inneren bzw. sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stand und den Sturz der Klägerin verursacht hat.

Eine gemischte Tätigkeit setzt zumindest zwei gleichzeitig ausgeübte untrennbare Verrichtungen voraus, von denen (wenigstens) eine im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht. Eine Verrichtung ist nur ein konkretes, also auch räumlich und zeitlich bestimmtes Verhalten, das seiner Art nach von Dritten beobachtbar ist. Danach verrichtete die Klägerin im Zeitpunkt des Unfallereignisses eine gemischte Tätigkeit. Sie übte gleichzeitig zwei (beobachtbare, objektive) Verrichtungen - Gehen und Telefonieren - aus, von denen die eine, nämlich das Telefonieren, im sachlichen Zusammenhang mit ihrer versicherten Tätigkeit stand. Denn die Klägerin war während der bei ihrem Spaziergang bestehenden Rufbereitschaft verpflichtet, die auf ihrem Diensthandy eingehenden Anrufe anzunehmen. Dieser Verpflichtung ist die Klägerin nachgekommen, als sie den Anruf einer Kollegin, die sie über die Absage eines Pflegetermins informieren wollte, angenommen hat.

Das BSG hat in seinen Urteilen vom 12.05.2009 und 09.10.2010 ein Abrenzungskriterium für den Fall einer Verrichtung mit gemischter Motivationslage bzw. gespaltener Haltungstendenz entwickelt. Danach steht eine Verrichtung mit gemischter Motivationslage bzw. gespaltener Handlungstendenz dann im inneren bzw. sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit, wenn die konkrete Verrichtung hypothetisch auch dann vorgenommen worden wäre, wenn die private Motivation des Handelns entfallen wäre, wenn also die Verrichtung nach den objektiven Umständen in ihrer konkreten, tatsächlichen Ausgestaltung ihren Grund in der betrieblichen Handlungstendenz findet.

(...)

Im vorliegenden Fall ist demnach zu fragen, ob das Telefonieren hypothetisch auch dann vorgenommen worden wäre, wenn das Gehen entfiele. Da die Klägerin in jedem Fall telefoniert hätte, steht die gemischte Handlung (Gehen und Telefonieren) insgesamt unter Versicherungsschutz.

(...)

LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18.12.2012, AZ L 15 U 270/12 (in Auszügen).

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