14.01.2016 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Ernst und Young Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft m.b.H..
Inzwischen arbeiten geschätzt 28 Prozent1 der Selbstständigen – und damit mehr als jeder vierte – scheinselbstständig. Das sind mehr als 1,2 Millionen Selbstständige in Deutschland2.
Die Risiken durch Scheinselbstständigkeit und illegale Arbeitnehmerüberlassung steigen dabei mit dem Grad der Einbindung von Selbstständigen in das Unternehmen und ihrer Beauftragungsdauer für das Unternehmen. So sind etwa 24 Prozent der Selbstständigen in den Räumen des Auftraggebers tätig und in dessen Betriebsablauf eingebunden. Zehn Prozent arbeiten nur für einen einzigen Auftraggeber und fast 21 Prozent sind länger als 18 Monate für ein Unternehmen tätig.
Trotz der hohen Zahl potenziell scheinselbstständig Beauftragter gehen Unternehmen noch immer zu sorglos mit dem Thema um. 82 Prozent schätzen das mögliche Risiko, mit Sanktionen konfrontiert zu werden, als nicht vorhanden oder höchstens gering ein. Und gut die Hälfte der befragten Unternehmen ist überzeugt, dass in ihrem Unternehmen ein Schaden durch Scheinwerkverträge gar nicht entstehen kann.
Das sind Ergebnisse einer Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY (Ernst & Young) und von EY Law, für die 400 Unternehmen und 2.455 Erwerbstätige befragt wurden.
Dabei können Scheinselbstständigkeit und illegale Arbeitnehmerüberlassung Unternehmen teuer zu stehen kommen. „Erhebliche Steuernachzahlungen, Strafzahlungen, persönliche Haftung von Führungskräften und der Verlust von Reputation – das Schadenspotenzial für Unternehmen ist enorm“, betont Markus Lohmeier, Partner für Business Integrity & Corporate Compliance bei EY. „Das Thema ist noch ein blinder Fleck in der Compliance vieler deutscher Unternehmen.“
Das Verhalten so mancher Unternehmen grenzt an grobe Fahrlässigkeit. „Man kann davon ausgehen, dass bei Externen, die länger als 18 Monate in einem Unternehmen arbeiten, ein hohes Risiko besteht, scheinselbstständig beschäftigt zu sein. Durch die hohe Anzahl potenziell Scheinselbstständiger dürfte dem deutschen Sozialversicherungssystem unter konservativen Annahmen ein Schaden von jährlich mehr als drei Milliarden Euro entstehen, weil entsprechende Sozialbeiträge nicht von den Unternehmen abgeführt werden“, erläutert Rechtsanwalt Dr. Karsten Umnuß, Leiter des Bereiches Arbeitsrecht bei EY Law.
Selbst wenn Unternehmen feststellen, dass sie Externe scheinselbstständig beschäftigen, unternehmen sie häufig nichts dagegen: Jedes fünfte Unternehmen lässt die Sache lieber auf sich beruhen. Das gilt überdurchschnittlich stark für kleinere Unternehmen aus dem Mittelstand: Für 31 Prozent der Unternehmen mit weniger als 100 Millionen Euro Umsatz sind konkrete Vorkommnisse kein Grund zu handeln. Bei großen Unternehmen mit einem Umsatz von über zehn Milliarden Euro beträgt dieser Anteil noch acht Prozent.
Großunternehmen sind allerdings auch stärker gefährdet als die kleineren Betriebe. Während über alle Unternehmensgrößen hinweg 79 Prozent der extern Beauftragten weniger als ein Jahr, 19 Prozent ein bis fünf Jahre und zwei Prozent mehr als zehn Jahre im Unternehmen tätig sind, beauftragen große Unternehmen Externe häufig deutlich länger: In Großunternehmen sind zehn Prozent der Externen länger als zehn Jahre für das jeweilige Unternehmen tätig.
Während Großunternehmen im Schnitt bis zu sechs präventive Maßnahmen wie beispielsweise interne und externe Kontrollen oder Hinweissysteme implementiert haben, kommen bei kleinen bis mittelständischen Gesellschaften mit einem Umsatz von weniger als 100 Millionen Euro hingegen nur durchschnittlich drei Maßnahmen zur Anwendung. Jedes sechste Unternehmen hat überhaupt keine Maßnahmen ergriffen, um sich vor den Risiken von Scheinwerkverträgen beziehungsweise Scheindienstverträgen und Scheinselbstständigkeit zu schützen. Die am häufigsten angewendeten Maßnahmen, um Scheinselbstständigkeit aufzudecken, sind Kontrollen (67 Prozent), Stichprobenprüfungen (35 Prozent) oder externe Prüfungen (24 Prozent).
Um überhaupt auf Vorfälle reagieren zu können, muss das Management erst einmal von ihnen erfahren. Doch in neun Prozent der Unternehmen werden Vorfälle gar nicht an das Management berichtet.
„In Zukunft müssen die Unternehmen das Risiko der Scheinselbstständigkeit offensiver angehen. Die Beauftragung Externer wird weiterhin zunehmen, weil die Unternehmen Kosten senken und die Flexibilität steigern wollen. Daher wird auch das Problem der Scheinselbstständigkeit für die Unternehmen drängender werden. Sie dürfen dieses Problem nicht weiter unterschätzen.“ resümiert Umnuß. Lohmeier unterstreicht: „Die Prävention wird nach wie vor sträflich vernachlässigt. Insbesondere Hinweisgebersysteme wie Telefonhotlines, anonymisierte E-Mail-Postfächer oder Ombudsmänner bieten enormes Potenzial, weil Verstöße damit frühzeitig aufgedeckt werden können. So können sich Unternehmen besser vor arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen sowie auch steuer- und strafrechtlichen Konsequenzen schützen.“
Lohmeier empfiehlt zudem, Hinweisgebersysteme den extern Beauftragten zugänglich zu machen: „Eine Aufdeckung von Scheinselbstständigkeit könnte hierdurch gefördert werden. Die Öffnung von internen Hinweisgebersystemen für extern Beauftragte bietet hier eine Reihe von Möglichkeiten und Chancen. So können mit Hilfe von Hinweisgebersystemen Schwachstellen in Unternehmen frühzeitig aufgedeckt, Prozesse entsprechend optimiert und mögliche Klagen vermieden werden.“
Die am häufigsten ausgelagerten Tätigkeitsbereiche sind Sicherheitsdienste (bei 51 Prozent der Unternehmen), gefolgt von Gebäude- und Wartungsdiensten sowie Serviceleistungen (jeweils 45 Prozent). Auch IT-Beratung (42 Prozent) und Steuerberatung (38 Prozent) werden häufig an Externe ausgelagert. Gerade Großunternehmen mit mehr als einer Milliarde Umsatz vergeben aber auch sensible Kernbereiche wie Entwicklung (33 Prozent), Produktion (25 Prozent) und Forschung (21 Prozent) an Externe.
Die von Scheinselbstständigkeit am meisten betroffenen Branchen sind laut den befragten Unternehmen: Transport & Logistik (62 Prozent), Bau- und Immobilienbranche (60 Prozent) sowie IT/Telekommunikation (43 Prozent). Am geringsten gefährdet sind nach Meinung der befragten Unternehmen der Energiesektor (22 Prozent), Banken und Finanzdienstleistungen (22 Prozent) sowie Regierung und öffentliche Hand (17 Prozent).
In der am stärksten von der Gefahr der Scheinselbstständigkeit betroffenen Transport- und Logistikbranche ist das Risikobewusstsein allerdings nur gering ausgeprägt: Ein sehr hohes Risiko erkennt niemand in der Branche, und nur 15 Prozent sehen in der Scheinselbstständigkeit ein hohes Risiko. Über die Hälfte der Befragten (54 Prozent) sind der Meinung, dass nur ein geringes (46 Prozent) oder sogar gar kein Risiko (8 Prozent) vorhanden sei.
1 Schätzung auf Basis des Antwortverhaltens befragter Unternehmen und selbstständig Erwerbstätiger.
2 Basierend auf 4,4 Millionen Selbstständigen in Deutschland, laut Statistischem Bundesamt vom 21.08.2015.
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