13.01.2023 — Sarah Hofmann. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Ein Astronaut auf einem Pferd. Die Weltkugel zusammengeschrumpft in einer Kaffeetasse. Eine Krähe die ein Stück Pizza isst. Von absolut realistisch und fotogenau bis hin zu hypermodern, super abstrakt und avantgardistisch. In der Welt der KI-Kunst gibt es nichts, was es nicht gibt. Künstliche Intelligenz kann so ziemlich alles darstellen, was wir uns vorstellen können. Und darüber hinaus.
Als KI-Kunst werden Kunstwerke bezeichnet, die durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz geschaffen wurden.
Schon vor einigen Jahren haben Algorithmen in die Welt der Kunst Einzug gehalten. Wo Jahrtausende lang nur die menschliche Kreativität, Farben, Pinsel, leere Blätter und Fantasie eine Rolle spielten, haben sich jetzt Softwares, Algorithmen und Programme dazugesellt. Doch wie funktioniert KI-Kunst überhaupt? Damit ein Endprodukt entstehen kann, werden Informationen in die KI eingespeist. Durch maschinelles Lernen werden verschiedene Aspekte aus Bildern oder Texten verarbeitet und mit bereits vorhandenen Daten abgeglichen. Dadurch lernt die Künstliche Intelligenz, die programmierte Anwendung zu vervollständigen und zu erweitern.
Viele Softwares, die KI-Kunst generieren, funktionieren als Text-zu-Bild-Generator. Das gilt zumindest überwiegend für die bildende Kunst. Das heißt, dass Nutzende bestimmte Begriffe oder Wortgruppen in ein Textfeld eingeben und dann, als Ergebnis dieser Suche, ein ‚Kunstwerk‘ in Form eines Bildes erhalten. Die KI übersetzt den Text aufgrund ihres Wissens und setzt ihn so um, wie sie es für richtig hält.
Solche Text-zu-Bild-Generatoren sind zum Beispiel Programme wie Dall-E oder Midjourney. Diese Programme waren Vorreiter auf ihrem Gebiet und funktionieren genau nach dem hier beschriebenen Prinzip. Es braucht nur eine Eingabe, ein paar beschreibende Wörter und wenige Sekunden später spukt der Algorithmus eine passende Darstellung aus.
Programme wie Dall-E revolutionierten die Art, wie Kunst hergestellt wird, denn die hier verwendete KI kann völlig neue Konzepte abbilden und Bilder in verschiedenen künstlerischen Stilrichtungen generieren. Dafür braucht es eine Masse an Daten. Das Programm wurde mithilfe von Millionen im Internet existierender Bilder trainiert.
Doch die Technik macht noch lange nicht Schluss. Auch wenn das Erschaffen von KI-Bildern, auch aufgrund seiner Einfachheit gerade besonders beliebt ist, weiten sich die Möglichkeiten auch auf andere künstlerische Bereiche aus: Automatische Textgeneratoren gibt es schon lange. Nun hat Google in diesem Jahr das Programm ImaGen vorgestellt, das in der Lage ist, bewegte Bilder herzustellen. Damit stellt auch das Produzieren von Videos für die Künstliche Intelligenz kein Problem mehr dar. Die Zukunft ganzer Berufszweige in der Kreativbranche scheint potentiell von KI bedroht zu sein.
Die erfolgreichsten Programme dieser Art werden von OpenAI entwickelt, ein Unternehmen, das sich hauptsächlich mit der Erforschung von Künstlicher Intelligenz beschäftigt. Das Ziel von OpenAI ist es, Künstliche Intelligenz so zu entwickeln und vermarkten, dass sie der Gesellschaft Vorteile bringt und ihr nicht schadet. Zentrale Geldgeber der Organisation sind übrigens der Investor Elon Musk sowie das Unternehmen Microsoft.
Auf lange Sicht soll KI dazu beitragen, alle großen Probleme der Menschheit zu lösen. Hier scheint zu gelten: Große Versprechen der Zukunft (wie eine ideale Menschheit oder der Sieg über Krebs), relativieren die kurzfristigen Nachteile, die schon jetzt daraus entstehen – Wie in diesem Fall der potentielle Zusammenbruch der Kunstbranche. Bei so edlen Zielen, ist Kritik da überhaupt erlaubt, geschweige denn angebracht?
Mittlerweile warnen immer mehr Menschen vor den Folgen, die der KI-Wahn mit sich bringen könnte. Vor allem Kunstschaffende sehen sich in ihrem Tun bedroht und das zu recht: Die Bilder, die eine KI benötigt um zu lernen, fließen teilweise ohne Einverständnis der UrheberInnen in die Software ein. Die KI lernt also ohne Erlaubnis von den KünstlerInnen und kopiert den Stil.
Doch damit nicht genug. Einzelne Firmen werben sogar damit, dass die KI im Stil einer bestimmten kunstschaffenden Person malen kann. Hier sind die Grenzen zum Diebstahl fließend. Wer sollte jetzt noch eine hohe Summe für ein selbstgemaltes Bild ausgeben, dessen Entstehung vielleicht mehrere Monate dauert, wenn ein paar Klicks das gleiche Ergebnis erzielen?
Die langfristigen Konsequenzen von KI-Kunst für KünstlerInnen sind momentan noch gar nicht absehbar, denn die Technologie steht noch am Anfang ihrer Entwicklung. Doch viele KünstlerInnen warnen schon jetzt vor desaströsen Folgen.
Abgesehen von den Fragen des Urheberrechts, stellen sich noch viel fundamentalere Fragen in dieser Debatte. Ist Kunst austauschbar? Wird KI eines Tages KünstlerInnen ersetzen und kann eine Künstliche Intelligenz überhaupt kreativ sein? Judith Siegmund, Professorin für philosophische Ästhetik an der Züricher Hochschule der Künste sagt dazu: „Wir sollten die algorithmische Produktion von Bildern nicht mit dem verwechseln, was geschieht, wenn Menschen Kunst machen.“ Sie geht davon aus, dass Kunst ein Weltverständnis braucht und das habe KI nicht.
Tatsächlich geht der kunstschaffende Prozess bei der KI-Kunst verloren. Malen und Zeichnen als Handwerk verlangen oft jahrelange Übung. Trainiert wird das genaue Hinschauen, das Übersetzen einer Idee in eine Handbewegung. Es findet eine Interaktion mit dem Material statt. Dazu gehören auch das Scheitern, Lernen, Verbessern – KünstlerInnen stoßen dabei immer wieder an ihre Grenzen.
Etwas mit den eignen Händen zu erschaffen ist eine ganz andere Erfahrung, als nur ein paar Begriffe in eine Suchmaschine einzugeben und dann auf das Ergebnis zu warten. Statt die Kreativität zu fördern, agieren Nutzende passiver. Die Ergebnisse einer Rechenmaschine, so Siegmund, seien nicht mit Kreativität gleichzusetzen, aber die Ergebnisse dieser Maschine ersetzen Kreativität. KünstlerIn sein und von der eignen Kunst leben wird so noch mehr zum Privileg, als es vorher ohnehin schon war.
Unter diese schon länger schwelende Debatte mischt sich nun eine weitere Komponente: die App Lensa. Die Fotobearbeitungs-App ist schon seit 2018 auf dem Markt, aber seit einigen Wochen macht sie mit einer neu hinzugefügten Funktion in allen sozialen Netzwerken (vor allem auf Instagram und TikTok) auf sich aufmerksam: Magic Avatar.
Zur Nutzung dieser Funktion bittet die App um 10 bis 20 gute Selbstporträts seiner Nutzenden. Gegen Bezahlung werden dann dutzende neue Porträts in verschiedenen künstlerischen Stilen erstellt. Auf den ersten Blick wirken die neuen digitalen Kunstwerke, als hätte man nur einen Filter über schon vorhandene Fotos gelegt, doch es handelt sich hier um mehr: Die Fotos sind komplett neu. Die KI arbeitet die markantesten Features eines Menschen heraus und erstellt daraus digitale Porträts, die nach Sciene Fiction und Anime aussehen. Originelle Werke, die genauso gut von einem Künstler stammen könnten. Lensa ermöglicht es damit seinen Nutzenden den Avatar ihrer Träume zu erstellen. So entstehen perfekte Menschen ohne Makel, die nicht mehr viel mit der Realität zu tun haben. Volle Lippen, große Augen, glänzendes Haar. Unebenheiten oder Imperfektion scheint die KI gekonnt auszublenden.
Für ein Set von 50 fertigen Fotos verlangt Lensa ca. 5 € aber auch das Abschließen eines Jahresabos ist möglich. Lensa begründet die Unkosten damit, dass für das Erstellen der Avatare eine enorme Rechenleistung notwendig ist. Dennoch gilt es zu bedenken, dass die App ihre Datensätze gratis bezieht, denn Lensa basiert auf Stable Diffusion, einem Open Source-Bildgenerator, der für alle kostenlos zur Verfügung steht.
Durch Anwendungen wie Lensa, die KI-Kunst extrem vereinfachen, einer breiten Masse zur Verfügung stellen und sich dadurch in kürzester Zeit zum viralen Hit entwickeln, wird das Metaverse für eine breite Masse greifbar. Lensa reiht sich in eine Welt ein, die immer mehr auf KI-basierten Features, Virtual Reality-Anwendungen und Social Media basiert und einen eindeutigen Weg in Richtung Zukunft weist: mehr Technologien.
Um die beliebten Portraits zu erschaffen, braucht Lensa eine riesige Datenmenge. Diese besteht aus Milliarden – teilweise privaten – Bildern, die die KI im Netz auftreibt: Kunstwerke, Zeichnungen, Grafiken, Comics etc. Allerdings: Diese Kunstwerke gehören nicht Lensa, sondern den KünstlerInnen, die sie erschaffen haben. Diese wiederum sehen keinen Cent vom profitablen Geschäft. Schlimmer noch: KünstlerInnen haben nicht einmal zugestimmt, dass ihre Werke verwendet werden dürfen. Die Privatpersonen, die ihre Selfies hochladen, stimmen zwar zu, dass ihre Bilder auch für Werbezwecke verwendet werden können aber es ist fraglich, wem das wirklich bewusst ist. Lückenloser Datenschutz sieht anders aus.
Auch die unrealistischen Darstellungen der Personen sind kritisch. Einige Nutzerinnen wundern sich über stark sexualisierte Fotos, auf denen ihr Avatar fast ausschließlich halbnackt dargestellt wird. Eine Nutzerin hatte von sich nur Fotos im Rollstuhl hochgeladen. Die KI hatte den Rollstuhl auf keinem einzigen Werk aufgenommen, sondern sich eher auf die Oberweite der Nutzerin fokussiert.
Diese Beispiele zeigen die Schattenseiten des Lensa-Trends. Da wären zum einen die Urheberrechtsverletzungen an den Kunstschaffenden und zum anderen die unrealistische Darstellung von Menschen, die es fast unmöglich macht, noch zu unterscheiden, was echt und was unecht ist. Dies öffnet außerdem die Tür für Betrug und schadhafte Deepfakes.
Im Umgang mit Technologien wie dieser braucht es schon im Vorfeld Regeln und Gesetze, damit die Digitalisierung den Menschen nicht über den Kopf wächst und am Ende ausschließlich das leisten kann, wofür sie erfunden wurde: Hilfe und Unterstützung.
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